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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0089
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Die Idee der Universität [1923]

sehen Geist und Bildung, so auch heute. Es gibt dann ein ungeistiges und doch ange-
sichts chaotischen Zerfließens respektables Pathos einer rein formalen Disziplin, einer
bewußten Pflege der Sprache ohne entsprechenden Gehalt. Wir sind als Deutsche zu-
frieden, Barbaren zu sein, solange wir uns bemühen, den in uns wirkenden Geist je-
weils zur Form und Offenbarkeit zu bringen. Barbar zu sein, ist kein Wert, aber gibt
Möglichkeiten. In einem Bildungsideal endgültig geprägt zu sein, ist wie die Unterwer-
fung unter eine Autorität der Tod, wenn auch ein schöner, ja ein Tod, für den sich zu
begeistern eine Verführung ist.
Wissenschaft
Das Rationale macht die Welt des Gegenständlichen klar durch Bestimmung in Begrif-
fen und Beziehungen. Jede Behauptung, jede sprachliche Äußerung enthält solche ra-
tionalen Elemente. Das Rationale dient sogut zum Ausdruck meiner Zwecke und mei-
nes Willens wie zur Erfassung der von mir unabhängigen Gegenstände. Es steht
11 fortwährend im Dienste von Lebensinter|essen, und es wird ad hoc für jede gegenwär-
tige Situation herangezogen, so daß es durchweg in abgerissenen Fragmenten existiert.
Wissenschaft entsteht, wenn sich die rationale Arbeit erstens aus dem bloßen
Dienst für Lebenszwecke befreit, d.h. wenn die Sache selbst, das Objektive als solches
das Interesse erregt, also das Wissen Selbstzweck wird, und wenn zweitens das Ratio-
nale nicht in isolierten Fragmenten bleibt, sondern wenn Behauptung und Behaup-
tung zusammengestellt, alles Wissen zueinander in Beziehung gesetzt wird. Wissen-
schaft entspringt im Rationalen, kurz gesagt, wenn Objektivität als selbständiger Wert
erscheint und wenn systematisch alles Rationale durch Beziehungen in sich zu einem
Ganzen werden soll.
Wenn solche Definitionen einfach klingen, ist doch die faktische Situation der Wis-
senschaft sehr verwickelt. Sie ist nie vollendet, was sie sein soll, sie besteht immer nur
in der Bewegung des Erkennens, nicht im festen Besitz erworbenen, endgültigen Wis-
sens, sie hat nie die endgültige Wahrheit und ist nie vollendetes Ganzes in einem Sy-
stem, es sei denn in vorwegnehmenden Metaphysiken, die nur einen Augenblick Tief-
stes zur Erscheinung bringen, dann aber schnell, wenn sie festgehalten werden, den
Erkenntnisprozeß lähmen. Das Erkennen sucht in der Wissenschaft die »Wahrheit«.
Menschen haben geglaubt, diese in schnellem Zugreifen zu finden, indem sie das An-
sich der Dinge, die äp/ij,19 die göttliche Idee, die Substanz denkend zu erfassen mein-
ten, um daraus die ganze Welt der Erscheinungen abzuleiten. Jedoch läßt die Bewe-
gung des Erkennens dem Menschen keine Ruhe. Neue anschauliche Inhalte finden
keinen Ort in dem vorschnell für vollendet gehaltenen Ganzen, Widersprüche wer-
den erkannt und nicht ertragen, seien es logische Widersprüche in den Formulierun-
gen, seien es Widersprüche zwischen den Formulierungen und den neuen Anschauun-
gen. Indem das Erkennen immer mehr Beziehungen durch das immer im Partikularen
voranschreitende Forschen findet, rückt es ab von dem Ansich der letzten Wahrheit.
 
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