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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0100
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Die Idee der Universität [1923]

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lassen. Es heißt zugleich, daß nicht durch Prüfungsinstitutionen, welche vielleicht
ganz spezifische Begabungen voraussetzen, die nicht mit denjenigen zusammenfal-
len, wegen derer eigentlich die Prüfung stattfindet, die Tüchtigen ausgeschaltet wer-
den. Denn Institutionen, die Bedingungen schaffen, schaffen zugleich Hemmungen,
und dies um so mehr, je weniger objektiv, für jedermann faßlich, der geistige Wert ist.
Es könnte sein, daß Prüfbarkeit nicht für jede Begabung besteht, daß es eines erhebli-
chen Spielraums der subjektiven freien Beweglichkeit für alles eigentlich Geistige be-
darf, und daß jede Art von Institutionen, je zwangsläufiger ihre Wirkung ist, desto
mehr die Tendenz hat, das eigentlich Geistige auszuschalten.
Um zur Beantwortung solcher Fragen die möglichen Gesichtspunkte und Tatsa-
chen zu gewinnen, bedarf es der Überlegung über die Begabungsarten, über ihre Vertei-
lung und die Eigenschaften der Masse, und dann über die auswählenden Kräfte. Un-
ter den letzteren sind die bewußten Mittel der Auslese von größtem Interesse. Unter
diesen sind Prüfungen nicht die einzigen. Es ist zu überlegen, wie indirekt tatsächlich
auswählende Kräfte wirken und wie etwa institutionell zu schaffende Situationen in
dieser Hinsicht indirekt wirken mögen.
Es ist eine doppelte Urerfahrung: daß die Menschen so sehr verschieden sind, und
daß doch alle Menschen etwas Gemeinsames haben. An das Gemeinsame denkt, wer
gleiches Recht für alle will. Diese Forderung ist da sinnvoll, wo wirklich Gemeinsames
und Gleiches vorhanden ist, z.B. in der materiellen Existenz als solcher, in der Rechts-
ordnung des Staats. Gemeinsam ist nur das tiefste Niveau und sind gewisse Letzthei-
ten: der Tod, das Religiöse. Das Verschiedene akzentuiert, wer zuerst verlangt, die Ni-
veauunterschiede der Menschen zu sehen und zu respektieren; wer die verschiedenen
Eignungen sieht und sie zweckmäßig zum Nutzen und zur Erzielung quantitativ größ-
ter Leistung verwandt wissen will; wer die menschlichen Interessen und Triebrichtun-
gen sieht, die ganz verschiedene Art, dem Geiste zuzustreben, die Unterschiede der
Opferfähigkeit für seine geistige Existenz usw. Was einer vor allem sieht, hängt davon
ab, worauf es ihm wesentlich ankommt, auf den Durchschnitt und die Vielen, oder
auf die Gipfel und die Wenigen, oder auf Alle. Danach wird er geneigt | sein, die Men-
schen als gleichmäßige Masse, oder als Pyramide, oder als gegliederten Organismus
mannigfacher Möglichkeiten zu sehen.
Nun ist hier aber Willkür des Sehens nicht das allein Entscheidende. Es gibt für den,
der den Willen zur Objektivität hat, unausweichliche Einsichten. Diese sind zu gewin-
nen durch kasuistische Analyse und Vergleich einzelner Menschen untereinander,
dann der Massenerscheinungen, ferner durch experimentelle Analyse von Leistungs-
fähigkeiten und deren Anwendung zu Eignungsprüfungen, schließlich durch eine aus
dem Gesamtbild persönlichen geistigen Lebens zu gewinnende begriffliche Analyse
der Arten geistiger Fähigkeiten. Für uns kann es sich hier nicht um Entfaltung dieser
umfangreichen empirischen Forschungen handeln, sondern um Darlegung und Kri-
tik der Gesichtspunkte.

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