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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0104
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Die Idee der Universität [1923] 29
dingt, durch Übung und Züchtung in Generationen, durch die Tradition einer Kultur-
familie. Das Wesentliche ist nicht etwa der Schulbesuch, den man durch Institutionen
jedermann zugänglich machen kann; auch nicht die Lage, daß der Mensch Gelegen-
heit zu allem möglichen hat, vielerlei nacheinander versuchen kann. Es ist vielmehr
die Substanz einer Weltanschauung, die Strenge und Zucht. Nicht daß die Zugehörig-
keit zu einer Familie als solche ein Wert sei, sondern sie wurde von solchen Menschen
als Verpflichtung empfunden. Soziologische Gehobenheit garantiert dies durchaus
nicht. In den gehobenen Schichten ist im letzten halben Jahrhundert der Materialis-
mus des Vielerlei, die Sucht nach allem, ohne daß das Erstrebte Respekt einflößt, viel
sichtbarer gewesen. Früher - nicht heute - waren das protestantische Pfarrhaus, der
Adel, das Patriziertum die Herkunft vieler hervorragender Menschen. Solche Weltan-
schauung und solche Erziehung läßt sich nicht »machen« und ausdenken.
Wenn auch Auslese unvermeidlich ist, so muß doch auch die Masse erzogen wer-
den. Die Auslese findet jederzeit aus einer Masse statt, auch eine soziologisch herr-
schende Schicht ist in ihrer Gesamtheit eine Masse. In jedem Falle hat ein Nachdenken
über die Eigenschaften der Masse eine Bedeutung.53 Die Urteile über diese Eigenschaf-
ten sind seit Jahrtausenden in erstaunlicher Einmütigkeit überall sehr ungünstig. Was
das geistige Niveau und die Begabung angeht, so hält die Mehrzahl der Menschen sich
selbst für etwas vorzüglich Beanlagtes, und nur in Schwierigkeiten dient immerfort zur
Entschuldigung, man sei dazu nicht beanlagt. Ansprüche einerseits, Entschuldigung
andererseits, oft im grotesken Widerspruch, hat man bezüglich des Geistigen bei | der
Mehrzahl zu erwarten. Die meisten wollen über ihre Kräfte hinaus viel bedeuten, gel-
ten, anerkannt sein. Sie wollen die Welt verändern, von Grund aus neu machen, mei-
nen in ihrem primitiven, unkritischen Denken, die Welt könne als Ganzes gerecht,
harmonisch, glücklich sein. Statt bei sich selbst mit strenger Zucht Geist und Bildung
wachsen zu lassen, ihre Sache zu tun, fliehen sie vor sich selbst und der eigentlichen
Aufgabe und gehorchen einer Vorstellung, die sie Idee nennen, in vollendeter Ungei-
stigkeit, aber so, daß sie selbst dadurch Geltung gewinnen. - Es gibt nicht nur eine Soli-
darität der Interessen einer Klasse (ökonomische Schicht), eines Berufs usw., sondern
ein instinktives gemeinsames Interesse der durchschnittlich Beanlagten. Die Masse ist
Feind des Überragenden;54 sofern sie, was mit Anerkennung höheren Niveaus nichts zu
tun hat, im instinktiven Bewußtsein eigener Unfähigkeit einen Führer für ihre Inter-
essen in den Himmel hebt, wird sie ihn ebenso leicht auch wieder verraten. Die Gleich-
heit soll für die Instinkte des Durchschnitts auch die Geistigkeit, die Anlage, das Kön-
nen betreffen. Allerdings gibt es auch Menschen, die sich ihrer Mängel bewußt werden
und daraus Konsequenzen ziehen. Aber das ist immer schon ein Zeichen von relativ
hohem Niveau. Wer die geistige Triebkraft hat, kann durch schlechte Werkzeuge ge-
hemmt werden, aber er darf, wenn sein Enthusiasmus nur echt ist, und er opfern will,
ihm folgen. Fichte rät geradezu ab von der Selbstprüfung der Begabung. Wer in die
Lage gekommen ist, zu studieren, soll sich betrachten als angehenden Gelehrten; denn

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