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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0108
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Die Idee der Universität [1923]

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gen, ihm selbst Überlegene, Geistigere instinktiv nicht zur Geltung kommen zu lassen.
Wenn andere, seltene Menschen sich dann diese Gefahren, die subjektive Willkür klar
machen, selbst aber auswählen müssen, so neigen sie wohl dazu, sich bis zur Unsach-
lichkeit selbst zu bekämpfen, ihre Verehrungen und Sympathien geradezu als Gegen-
motive wirken zu lassen, diejenigen zu wählen, die sie eigentlich nicht wollen, so daß
die Auswahl wiederum ganz schlecht, ja unbegreiflich wird. Schließlich - und das ist
wohl heute das häufigste - wirken als Motive zur Auswahl utilitarische Zwecke, Bedürf-
nisfragen. Die Menschen werden im Grunde genommen nur als Mittel angesehen. Je-
des persönlich | geformte Interesse, das geistig die unvermeidliche Gestalt des Lebens 36
ist, wird als unsachlich bequem zur Seite geschoben, nicht zugunsten einer höheren
Sache, sondern zugunsten handgreiflicher äußerlich faßlicher Merkmale der Eignung
für die Erfüllung eines Bedürfnisses. Niveaufragen spielen kaum noch eine Rolle oder
werden unter dem Namen, es käme auf »Persönlichkeit« an, gelegentlich willkürlich
und ohne Verständnis für den geistigen Sinn solchen Satzes verwendet.
Eine dritte Möglichkeit der Auswahl wäre die Wahl durch Majorität durch eine Gruppe,
die ihren Führer, Lehrer wählt, oder die sich durch neue Glieder ergänzt. Diese Form ist
wiederum unvermeidlich für Korporationen. Das Wählen der eigenen Führer oder Leh-
rer aber (z.B. Wahl der Professoren durch Abstimmung seitens der Studenten nach Ma-
jorität) ist nicht notwendig und hat große Gefahren. Eigentlich kann nichts Gutes da-
bei herauskommen, wenn jemand den wählt, der etwa im Examen über ihn zu Gericht
sitzen wird. Man wird neigen, so zu wählen, daß man möglichst gelinde durchkommt.
Dann werden Schüler immer solche Qualitäten auswählen, die ihnen in die Augen ste-
chen: erotische Eigenschaften, die unbewußt wahrgenommen sind, Fähigkeiten rein
didaktisch-organisatorischer Art, Demagogeneigenschaften. Die Majorität entscheidet
nach Qualitäten der »Blender«. Wohl hat gute Jugend den unbestechlichen Sinn dafür,
ob der Lehrer etwas kann, ob er souverän ist, ob man bei ihm etwas lernen könne, ja auch
gerade für den geistigen Rang. Sie hat den Instinkt für die persönliche Substanz, für das
Echte. Aber diese Jugend wird bei Wahlen nur selten die Majorität besitzen.

§ 4. Kommunikation
Ich bin allein für mich kein Selbst. Ich werde ein Selbst in Wechselwirkung mit dem
anderen Selbst. Kommunikation ist Bedingung auch des persönlichen Daseins.60 Der
Geist als Wille zum Ganzwerden ist gegen alle Isolierung als bleibende. Wo Kommu-
nikation als lebendiger Prozeß ist, muß aber auch individuelle Substanz sein. Wo keine
persönliche Substanz ist, da gibt es bloßes Zerfließen und keine Kommunikation als
Wachsen in Wechselwirkung. Darum ist, wo Kommunikation ist, auch Einsamkeit.
Geistig ist der unendliche Prozeß der Aufhebung der | Einsamkeit und des Werdens des 37
Selbst.61 Ein isoliertes Individuum würde, sowenig es ein Selbst wäre, ebensowenig ein-
sam sein können.
 
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