Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0116
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Idee der Universität [1923]

41

rer, alle sind im Beruf beschäftigt mit dem ganzen Menschen, mit der Totalität der Le-
bensverhältnisse, wenn auch jeder von ganz anderer Seite her. Die vorbereitende
Ausbildung für diese Berufe ist geistlos und macht im Berufe unmenschlich, wenn sie
nicht auf das Ganze führt, die Auffassungsorgane entwickelt und den weiten Horizont
zeigt, wenn sie nicht »philosophisch« macht. Mängel in der Fachroutine, die unter al-
len Umständen zur Zeit der Staatsexamina in erheblichem Maße bestehen, können im
Laufe der Praxis beseitigt werden. Fehlt aber jener Boden geistiger wissenschaftlicher
Ausbildung in Einstellung auf Ganzheiten oder Ideen, so ist alles weitere hoffnungslos.
| Die Richtung auf das Ganze ist »philosophisch«, daher ist alle Wissenschaft philo- 47
sophisch, sofern sie nicht über den Mitteln den Zweck vergißt, nicht im Lexikalischen,
in den Apparaten, in den Sammlungen, im Technischen und im bloß Vereinzelten un-
tergeht und die Idee verliert. Kant hat gesagt, daß die Würde, das ist der absolute Wert
der Philosophie, allen anderen Erkenntnissen erst einen Wert gebe.72 Das heißt nicht,
nun sollten alle Philosophie studieren. Mancher Forscher hat seinen philosophischen
Impuls außer in seinen neuen Fragestellungen auch in seinem Schelten auf »die Philo-
sophie« gezeigt. Auf die Philosophie in der Wissenschaft kommt es an wie auf die Phi-
losophie im Leben, nicht auf philosophisches Gerede, philosophische Arabesken und
Einleitungen, philosophische Terminologie - das ist meist jene gescholtene schlechte
Philosophie.73 Es kommt an auf den philosophischen Impuls, von dem die Forschung
ausgeht, die Idee, die sie führt, den Sinn, der der Forschung Wert und Selbstzweck gibt.
Darum ist diejenige Philosophie allein wertvoll, die Sauerteig der Wissenschaften74
wird und die den wissenschaftlichen Menschen zu prägen vermag, diejenige Philoso-
phie, die der Idee nach die ganze Universität durchdringt. Das Dasein besonderer phi-
losophischer Lehrstühle und einer besonderen esoterischen Philosophie, die ohne Be-
rührung mit dem Ganzen scheinbar als besondere Fachwissenschaft gedeiht, ist eine
Einzelfrage der Organisation und des Unterrichts.
In der Idee der Universitas, der philosophischen Totalität, liegt das Geistige der Wis-
senschaft. Innerhalb des Erkennens soll möglichst allseitige Beziehung eintreten. Auch
im wissenschaftlich-persönlichen Leben fordert die Idee die intensivste Kommunika-
tion, nicht in der Form der bloßen Geselligkeit, sondern in der Sphäre des Wissen-
schaftlichen und Geistigen. Daher soll die Universität der Idee nach der Rahmen sein,
innerhalb dessen Forscher untereinander und Forscher und Schüler in nächste Verbin-
dung der Diskussion und der Mitteilung treten. Diese Kommunikation kann der Idee
nach nie die eines Meisters oder die eines bloß tradierenden Lehrers zum Schüler sein,
sondern wesentlich die sokratische Beziehung, die kämpfend infragestellt, um sich ge-
genseitig zu durchdringen und offenbar zu werden. Das Gehobensein durch diese At-
mosphäre der Kommunikation der Gemeinschaft in Ideen schafft die günstigsten Vor-
bedingungen für die zuletzt immer einsame wissenschaftliche Arbeit.
| Das Erkennen richtet sich auf Gegenstände. Nicht aus dem Kopf allein kann das 48
Erkennen produziert werden - das gelingt nur in Grenzfällen der Mathematik und Lo-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften