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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0118
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Die Idee der Universität [1923]

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würde. Oder mag man an ernstere Bildungsprozesse denken, die in die Seele greifen,
indem sie an das religiöse Zentrum rühren: die Universität ist keine Kirche, kein Or-
den, kein Mysterium, nicht der Ort für die Wirksamkeit von Propheten und Aposteln.
Ihr Grundsatz ist: auf intellektuellem Gebiet alle Werkzeuge, alle Möglichkeiten zu ge-
ben, an die Grenzen zu führen, den Lernenden aber in allen Lebensfragen, in allem
Entscheidenden des Handelns auf sich selbst zu verweisen, auf seine eigene Verant-
wortung, die gerade durch das Erkennen erst recht geweckt und auf das höchstmögli-
che Niveau und in das hellste Bewußtsein der Bedeutung gebracht wird. Die Universi-
tät stellt die Anforderung rücksichtslosen Erkennenwollens. Da Erkennen nur in
selbständiger Initiative möglich ist, ist ihr Ziel diese Selbständigkeit und damit für das
Leben überall: die eigene Verantwortung des Einzelnen. Sie kennt innerhalb ihrer
Sphäre keine Autorität, sie verwirft jede Autorität und respektiert nur die Wahrheit in
ihren unendlichen Gestalten, diese Wahrheit, die alle suchen, die aber niemand end-
gültig und fertig besitzt. Bei allem ist nicht zu vergessen, daß in der Wertung jedes wis-
senschaftlich, d.h. philosophisch berührten Menschen, ob Forscher oder Schüler, die
Forschung, das Erkennen Selbstzweck ist. Was der Zweck des Daseins, das Endziel sei,
ist im allgemeinen durch keine bloße | Einsicht zu entscheiden. Hier ist jedenfalls ein
Endzweck: die Welt will erkannt werden.76 An der Universität hat die Forschung nicht
nur ihren Platz, weil sie die besten Grundlagen für die wissenschaftliche Erziehung zu
praktischen Berufen gibt, und weil sie Einschlag einer erwünschten Bildung ist, son-
dern weil die Universität für die Forschung da ist, in ihr ihren Sinn erfüllt. Der Student
ist der Potenz nach angehender philosophischer Gelehrter, und er bleibt sein Leben
lang ein philosophisch wissenschaftlicher Mensch, wenn er in jene Bewegung dau-
ernden Wachsens der Idee eingetreten ist, auch wenn er sich auswirkt im praktischen
Beruf der Wirklichkeitsgestaltung, die nicht weniger produktiv ist als die wissenschaft-
liche Leistung im engeren, literarisch sichtbaren Sinn.
Das Durchdrungensein von der Idee der Universität ist Element einer Weltanschau-
ung.77 Man könnte die Folgerung ziehen wollen, also habe nur diese Weltanschauung
an der Universität ihren Platz. Das hätte ein exklusives Verhalten der Idee, ein Prüfen
des Anderen auf seine Weltanschauung zur Folge. Gerade das widerspricht der Uni-
versitätsidee. Sie prüft nicht die Weltanschauung, sondern die wissenschaftliche Lei-
stung und die Geistigkeit, das geistige Niveau eines Menschen, den sie zu ihrem Gliede
machen möchte. Sie unterscheidet sich von allen sektenhaften, kirchlichen, von al-
len fanatischen Kräften, die ihre Weltanschauung aufdringen und in ihren exklusiven
Kreisen entfalten wollen, dadurch, daß sie nur frei gedeihen will und lieber zugrunde
geht, als sich durch äußerliche Mittel äußerlich zu sichern, sich vor fremder Geistig-
keit sorgsam zu hüten, sich dem an die Wurzel gehenden geistigen Kampf zu entzie-
hen. Nur auf eines kann sie bei ihren Gliedern nie verzichten, auf fachliche, wissen-
schaftliche Leistung, auf handwerkliche Tüchtigkeit und auf »Niveau«. Im übrigen
aber wird sie selbst Menschen in sich aufnehmen, die das Sacrificio del intelletto78

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