Die Idee der Universität [1923]
45
ben miteinander unter der Voraussetzung, gegenseitig in uns an das höchste Können
und die Idee zu appellieren, die unser Leben durchdringen soll. Unser Feind ist die ge-
mütliche Behaglichkeit und die Philistrosität. Wir haben die ursprüngliche Sehnsucht
zu den uns Überlegenen. Die Liebe zum großen Manne, dessen Existenz der höchste
Anspruch an uns ist, beflügelt uns. Und doch bleibt überall die Beziehung sokratisch.
Wenn auch Rangordnung anzuerkennen Lebensbedingung des immer aristokrati-
schen geistigen Lebens ist, so wird darum doch niemand Autorität. Selbständigkeit
und Freiheit - beim Menschen nicht im zufällig subjektiven sondern im ideellen Da-
sein - hat noch das Sandkorn gegenüber dem Felsen. Auch das Sandkorn ist Substanz.
Die Geltung der geistigen Aristokratie bedeutet für den Einzelnen nur Anspruch ge-
gen sich selbst, nur Verpflichtung, nicht Überlegenheit und Anspruch gegen andere.
Das Grundbewußtsein des Einzelnen als Gliedes der Universität, des Professors und
des Studenten, ist, daß er arbeiten und sich anstrengen soll, als ob er zu Höchstem be-
rufen sei, aber daß er dauernd unter dem Druck steht, ob er sich bewähren wird, ob er
zureichend ist. Es ist das beste, in dieser Hinsicht der Selbstreflexion keinen breiten
Raum zu geben, aber auch keine Anerkennung von außen zu beanspruchen.
Man hat wohl gesagt, die Studenten sollten Führer des Volkes werden, und man hat
gar den wunderlichen Begriff einer Führerhochschule gemacht.82 Das liegt nicht in der
Idee der Universität. Sie beansprucht nicht Autorität. Führer kommen aus allen Stän-
den und Schichten. Sachkunde wird überall, nicht nur an der Universität, erworben.
Die akademische Bildung gibt hier kein Vorrecht. Man möchte wohl vom Führer »Gei-
stigkeit« fordern. Aber faktisch sind die Führer oft von anderer Qualität. Die Welt ist
nicht der platonische Philosophenstaat. Machtwille, Entschlossenheit, Umsicht, Au-
genmaß für gegenwärtig konkrete Realitäten, praktische Übung und Erfolg, besondere
Charaktereigen|schäften sind das Entscheidende. Führer können auch aus den Krei-
sen akademischer Bildung kommen. Jedoch ist der allgemeine Typus akademischer
Berufe kein Führertypus. Der Seelsorger, der Arzt, der Lehrer usw. sind wohl »Führer«
in einem begrenzten Sinn, entweder durch formale Autorität (die mit der Universitäts-
idee nichts zu tun hat), solange sie in der Gesellschaft anerkannt wird, oder durch ihre
Menschlichkeit und Geistigkeit, die sich in der einzelnen Persönlichkeit durchsetzt,
aber auch immer wieder in Frage gestellt wird und nie auf Anspruch beruht, sondern
sokratisch, nicht autoritativ wirkt; oder durch Sachkunde, die sich nützlich erweist,
in den Sphären dieser Sachkunde. -
Der Studierende und der Professor soll die Universität nicht als zufällige staatliche
Institution, nicht als bloße Schule und nicht als eine Berechtigungen erteilende Ma-
schinerie ansehen, sondern der Idee der Universität teilhaftig werden, dieser abend-
ländischen, übernationalen, hellenisch-deutschen Idee.83 Diese Idee ist nicht hand-
greiflich faßbar, nicht äußerlich sichtbar, nicht laut und pathetisch, sie glimmt in der
Asche der Institutionen und flammt von Zeit zu Zeit in einzelnen Menschen und Grup-
pen von Menschen heller auf. In ihr zu leben, verlangt nicht immer offizielle Zugehö-
53
45
ben miteinander unter der Voraussetzung, gegenseitig in uns an das höchste Können
und die Idee zu appellieren, die unser Leben durchdringen soll. Unser Feind ist die ge-
mütliche Behaglichkeit und die Philistrosität. Wir haben die ursprüngliche Sehnsucht
zu den uns Überlegenen. Die Liebe zum großen Manne, dessen Existenz der höchste
Anspruch an uns ist, beflügelt uns. Und doch bleibt überall die Beziehung sokratisch.
Wenn auch Rangordnung anzuerkennen Lebensbedingung des immer aristokrati-
schen geistigen Lebens ist, so wird darum doch niemand Autorität. Selbständigkeit
und Freiheit - beim Menschen nicht im zufällig subjektiven sondern im ideellen Da-
sein - hat noch das Sandkorn gegenüber dem Felsen. Auch das Sandkorn ist Substanz.
Die Geltung der geistigen Aristokratie bedeutet für den Einzelnen nur Anspruch ge-
gen sich selbst, nur Verpflichtung, nicht Überlegenheit und Anspruch gegen andere.
Das Grundbewußtsein des Einzelnen als Gliedes der Universität, des Professors und
des Studenten, ist, daß er arbeiten und sich anstrengen soll, als ob er zu Höchstem be-
rufen sei, aber daß er dauernd unter dem Druck steht, ob er sich bewähren wird, ob er
zureichend ist. Es ist das beste, in dieser Hinsicht der Selbstreflexion keinen breiten
Raum zu geben, aber auch keine Anerkennung von außen zu beanspruchen.
Man hat wohl gesagt, die Studenten sollten Führer des Volkes werden, und man hat
gar den wunderlichen Begriff einer Führerhochschule gemacht.82 Das liegt nicht in der
Idee der Universität. Sie beansprucht nicht Autorität. Führer kommen aus allen Stän-
den und Schichten. Sachkunde wird überall, nicht nur an der Universität, erworben.
Die akademische Bildung gibt hier kein Vorrecht. Man möchte wohl vom Führer »Gei-
stigkeit« fordern. Aber faktisch sind die Führer oft von anderer Qualität. Die Welt ist
nicht der platonische Philosophenstaat. Machtwille, Entschlossenheit, Umsicht, Au-
genmaß für gegenwärtig konkrete Realitäten, praktische Übung und Erfolg, besondere
Charaktereigen|schäften sind das Entscheidende. Führer können auch aus den Krei-
sen akademischer Bildung kommen. Jedoch ist der allgemeine Typus akademischer
Berufe kein Führertypus. Der Seelsorger, der Arzt, der Lehrer usw. sind wohl »Führer«
in einem begrenzten Sinn, entweder durch formale Autorität (die mit der Universitäts-
idee nichts zu tun hat), solange sie in der Gesellschaft anerkannt wird, oder durch ihre
Menschlichkeit und Geistigkeit, die sich in der einzelnen Persönlichkeit durchsetzt,
aber auch immer wieder in Frage gestellt wird und nie auf Anspruch beruht, sondern
sokratisch, nicht autoritativ wirkt; oder durch Sachkunde, die sich nützlich erweist,
in den Sphären dieser Sachkunde. -
Der Studierende und der Professor soll die Universität nicht als zufällige staatliche
Institution, nicht als bloße Schule und nicht als eine Berechtigungen erteilende Ma-
schinerie ansehen, sondern der Idee der Universität teilhaftig werden, dieser abend-
ländischen, übernationalen, hellenisch-deutschen Idee.83 Diese Idee ist nicht hand-
greiflich faßbar, nicht äußerlich sichtbar, nicht laut und pathetisch, sie glimmt in der
Asche der Institutionen und flammt von Zeit zu Zeit in einzelnen Menschen und Grup-
pen von Menschen heller auf. In ihr zu leben, verlangt nicht immer offizielle Zugehö-
53