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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0137
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Die Idee der Universität [1923]

dem die Universitäten zu großem Dank verpflichtet sind, haben sie zugleich immer
ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen. Lehrfreiheit ist erst in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts endgültig errungen worden, hatte jedoch noch insofern eine Grenze,
als gewisse politische und weltanschauliche Gesinnungen zum Ausschluß aus der Do-
zentenkarriere führten, und wird wieder in Frage gestellt, wenn paritätische Vertre-
tung von Weltanschauungen an der Universität gefordert wird, während die Idee nur
Erkenntnisleistungen - auf welchem weltanschaulichen Boden auch immer - berück-
74 sichtigt. Bevorzugung gewisser Gesinnungen bei staatlichen | Eingriffen ist die Gefahr
bei jeder Staatsverfassung, sie wirkte sich im monarchischen Deutschland aus und im
parlamentarischen - aber relativ wenig und nur in Grenzfällen. Sie würde bei jeder ra-
dikalen, extremen Regierung - ob rechts oder links - wahrscheinlich viel stärker sein
und bis zur Gewaltsamkeit gehen.
Unter den gesellschaftlichen und staatlichen Einwirkungen wird die Universität
immer wieder umgeformt. Hinter der Mannigfaltigkeit der Gestalten steht als ewige
Idee und als Substanz die eigentliche Geistigkeit, die hier jeweils Verwirklichung, Exi-
stenz finden soll, das Erkennen als Selbstzweck, Forschen und Schaffen. Diese Substanz
ist immerfort in Gefahr, verloren zu gehen. Der Kampf zwischen dem philosophischen
Geiste echter Wissenschaft und den wechselnden Anforderungen der Gesellschaft
führt einmal zu lebendiger Synthese, zu Konkretisierungen der Idee von historischer
Einmaligkeit, dann wieder zum Unterliegen des Geistes, gefördert durch Eigenschaf-
ten, die in jedem korporativen Verband liegen. Daher wechseln in der Entwicklung
der Universität Zeiten der Öde und Zeiten des Blühens. Die Universität verliert sich
manchmal in der Befriedigung der an sie herantretenden Forderungen, in der Verschu-
lung, mit der sie dem Willen der Durchschnittsmasse entgegenkommt. - Wechselnd
ist auch die Geltung, die die Universität in der Gesellschaft hat. Einen ungeheuren Ein-
fluß hatten die deutschen Universitäten auf den Geist der Nation in der ersten Hälfte
und noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre geistigen Leistungen nicht nur impo-
nierten, sondern auch die geistige Haltung vieler Professoren, aus der zugleich ihre
Wissenschaft und ihr Leben kam, und in der die Nation sich selbst erkannte. Von der
moralischen Tat z.B. der Göttinger Sieben,104 die ihre Existenz für Wahrhaftigkeit und
Eidtreue opferten, fiel ein Glanz auf alle Universitätsprofessoren. Die an der Universi-
tät geschaffene Philosophie von Kant bis Hegel prägte eine Zeitlang die gesamte Bil-
dung und gab der Existenz der akademischen Berufe überall Schwung. Arzt und Leh-
rer, Beamter und Pfarrer waren sich des Sinns ihres Tuns gewiß und sahen ihr Leben in
einer umfassenden Weltanschauung. Die Geltung der Universitäten hat seitdem ge-
waltig abgenommen, zum Teil weil überhaupt alle Geltungen schwanden, wenigstens
die Geltungen geistiger Herkunft, zum Teil weil sie selbst die großen Leistungen nicht
75 mehr aufwiesen, trotz zahlreicher fachwissen| schaftlicher Entdeckungen und Fort-
schritte in der Weltanschauung nicht mehr führend, nicht mehr Ausdruck und Reprä-
sentanten der soziologischen und kulturellen Bewegungen der Zeit waren, und schließ-
 
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