Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0150
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erneuerung der Universität

75
Forschung und Lehre, wenn auch bescheiden, hergestellt werden. Aber das alles ist
noch keine Erneuerung.
Diese Erneuerung kann in der Tat nur geschehen durch die Arbeit der einzelnen,
der Forscher und der Studenten, in der Gemeinschaft ihres geistigen Lebens. Diese Ge-
meinschaft muß die unvergängliche Idee der Universität zur Führung haben, die Idee
der Hochschule, welche der Forschung und Lehre zugleich und in einem dient, Lehr-
und Lernfreiheit als Bedingung verantwortlicher Selbständigkeit aller einzelnen Do-
zenten und Studenten fordert, den bloßen Schulbetrieb und die sich abschließenden
Spezialisierungen verwirft, vielmehr die Einheit der Wissenschaften in der lebendigen
Kommunikation und dem geistigen Kampf zur Entfaltung bringt.
Das Ergebnis solcher Erneuerung wird sich zeigen in dem Geist eines Hauses, sei es
des Seminars, des Instituts oder der Klinik, in der Weise, wie dort gearbeitet und wis-
senschaftlich diskutiert wird. Es wird sich zeigen in den Veröffentlichungen und in
den Lehrbüchern, die solchen Geist bis in die Stimmung hinein sichtbar werden las-
sen. Diese Erneuerung liegt allein an uns.
Aber noch verbindet uns keine öffentliche gemeinsame Anschauung. Wir haben
noch nicht den Boden, auf dem wir stehen, wenn wir miteinander sprechen. Die Idee
der Universität ist noch nicht wieder wirklich lebendig. Mannigfaltige Reste fragwür-
diger Gewohnheiten beherrschen das Denken und Werten.
Wir Deutsche hatten einst die Stärke, als einzelne auf uns selbst stehen zu können,
in allen realen Abhängigkeiten innerlich doch frei und unbeirrbar zu sein. Das ist gei-
stig zunächst auch heute unsere einzige Chance. Jeder muß es an der Universität auf
sich hin wagen, während er ständig hört und Kommunikation sucht, damit die Idee
der Universität wieder erwachse.
Die Erneuerung der Universität steht also unter diesen Voraussetzungen: der poli-
tischen und wirtschaftlichen Ohnmacht un|seres Landes - der Lage des >vae victis< - 12
der Umschmelzung unseres Wesens durch eine Not und Schmach von zwölf Jahren -
der Aufgabe von uns noch zerstreuten Überlebenden, die wir uns einrichten auf den
Trümmern - der Chance unseres geistigen Schaffens - dem Anspruch der Idee der Uni-
versität.
All das wird ausführlich zum Thema, wenn die geisteswissenschaftlichen Fakultä-
ten wieder auferstehen dürfen.
Die Medizin scheint diesen Fragen ferner zu stehen. Sie ist doch eine Wissenschaft
und Kunst, die unabhängig von Politik das gleiche in aller Welt will, wo Menschen
für die Gesundheit des Leibes und der Seele sorgen. Aber es scheint nur so. Wir ha-
ben gesehen, in welchem Umfang der Eingriff auch in ein so apolitisches Gebiet mög-
lich war.
Ärzte haben aus einem unzureichenden Wissen vom Vererbungsgeschehen das Ma-
terial für eine Gesetzgebung beigebracht, deren Durchführung sie durch eine ausge-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften