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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0152
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Erneuerung der Universität

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Wissenschaftlichkeit, das heißt: zu wissen, was man weiß und was man nicht weiß; un-
wissenschaftlich ist das dogmatische Wissen. Wissenschaftlich sein, das heißt: mit
den Gründen zu wissen; unwissenschaftlich ist das Hinnehmen fertiger Meinungen.
Wissenschaftlich ist das Wissen mit dem Bewußtsein von den jeweils bestimmten
Grenzen des Wissens; unwissenschaftlich ist alles Totalwissen, als ob man im Ganzen
Bescheid wüßte. Wissenschaftlich ist grenzenlose Kritik und Selbstkritik, das voran-
treibende Infragestellen; unwissenschaftlich ist die Besorgnis, der Zweifel könne läh-
men. Wissenschaftlich ist der methodische Gang, der Schritt für Schritt auf dem Bo-
den der Erfahrung zur Entscheidung bringt; unwissenschaftlich ist das Spiel vielfacher
Meinungen und Möglichkeiten und das Raunen.
Ich wage zu behaupten, daß ein Strom von Unwissenschaftlichkeit durch den grö-
ßeren Teil unserer wissenschaftlichen und auch der medizinischen Literatur hindurch-
geht. Der Geist der Unwissenschaftlichkeit öffnete dem Nationalsozialismus die | Tore,
weil dieser ein entgegenkommendes Verständnis fand. Zum Beispiel: Die Rassentheo-
rie trifft zwar etwas, das im Unterbau des Menschseins eine wahrscheinlich sehr große
Rolle spielt. Aber nicht einmal der Begriff >Rasse< ist klar. Was an Rassenlehre all die
Jahre Schulfach war, ist zum größten Teil Schwindel. Aber die Folgen waren erstens ein
verderblicher, weil die Auffassung des Menschseins verkehrender pseudowissenschaft-
licher Mythus, zweitens jene mörderischen Handlungen zur Beseitigung für minder-
wertig erklärter Rassen.
Die Vererbungslehre gehört zu den großartigsten naturwissenschaftlichen For-
schungsbewegungen der letzten Jahrzehnte. Das Studium bedeutender Werke der Ge-
netiker bringt uns zur staunenden Anschauung, was unsere Erkenntnis vermag. Der
Mensch aber ist ein aus den verschiedensten Gründen für Vererbungsforschung bio-
logisch besonders ungeeignetes Objekt. Man kann nur anderswo erworbene Verer-
bungserkenntnisse auf ihn anzuwenden versuchen. Solche Anwendungen haben zwar
einige Ergebnisse bei günstig gelagerten Krankheitsformen gehabt, obgleich fast nie
die Exaktheit der Genetiker erreicht wurde. Im weitesten Umfang - zumal in der psych-
iatrischen Vererbungslehre - ist dagegen ein Betrieb in Gang gebracht mit mathema-
tischen Spielereien und mit dem typischen Absinken unproduktiven Forschens in End-
losigkeiten. Die Ergebnisse sind so dürftig, daß eine praktische Anwendung, selbst
wenn man den inhumanen Ausgangspunkt solcher Anwendung annehmen wollte, in
den meisten Fällen wissenschaftlich gewissenlos war.
Der andere Pfeiler neben der Wissenschaftlichkeit ist die Humanität:133 Sie bedeu-
tet die Ehrfurcht vor dem Menschsein. Jeder einzelne Mensch ist eine Unendlichkeit.
Keine wissenschaftliche Auffassung kann ihn als Ganzes treffen. Der Mensch ist stets
mehr, als von ihm erkannt wird. Daher darf der Arzt, zumal der Psychiater und Psy-
chotherapeut, nie das Bewußtsein von der Unerschöpfbarkeit und Rätselhaftigkeit je-
des einzelnen Menschen verlieren. Er soll es noch den scheinbar alltäglichsten Fällen
gegenüber besitzen.

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