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Vom lebendigen Geist der Universität
wir sagen dürfen: hier weiß niemand besser Bescheid als ich. Wir müssen daher in un-
serem Studium nicht sofort, aber bald wählen, an welcher Stelle wir mit Gründlichkeit
uns einarbeiten wollen. Aber all dieses Bemühen wird für das eigentliche Erkennen
vergeblich und in der Praxis zu bloßer Routine, wenn es nicht im Zusammenhang
bleibt mit dem Ganzen des Erkennens. Dieses Ganze treibt uns voran, ist als Keim in uns
von Anfang an, ist das geistige Leben, ist der lebendige Geist, der sich entfaltet auf den
Wegen der Spezialisierung.
Daher der Anspruch an Sie: Sie müssen dahin kommen, wo Sie hingerissen werden
von dem Geist des Zusammenhangs von allem mit allem, von der Wahrheit, die keine
188 Wissenschaft sich isolieren läßt, - wo | das Zusehen bei den anderen Wissenschaften
nicht bloße Neugier ist, sondern der Weg zum Ergreifen der wesentlichen Grundzüge
im Bau unseres Erkennens, dadurch auch zum vollen Erfassen der eigenen Wissenschaft.
Dann erfahren Sie die Einheit der Universität in der vielfachen Gliederung ihrer In-
stitutionen. Sie treten ein in eine große Überlieferung. Die Universität bewahrt und
erneuert die geistigen Grundlagen in den großen Lebensbereichen des Menschen für
die Berufe, die auf Erkenntnis gegründet sind, in den vier Fakultäten, die bis auf eine
aus dem Mittelalter stammen. Es sind die Theologie jurisprudenz, Medizin und Tech-
nik (diese letztere bisher nur in der gesonderten Gestalt der Technischen Hoch-
schule).150 Vergegenwärtigen wir sie kurz:
1. Die Theologie pflegt die Überlieferung der biblischen Religion zum Heil der Seele.
2. Die Jurisprudenz dient dem bürgerlichen Wohl in der Ordnung der Gemein-
schaft.
3. Die Medizin dient der Gesundheit, dem Leibeswohl der Einzelnen und der Hy-
giene der Zustände der gesamten Bevölkerung.
4. Die Technik dient der Daseinsgestaltung in der Beherrschung der Naturkräfte
mit der Aufgabe, eine von Not entlastende und Schönheit ermöglichende Ge-
staltung der Umwelt des Menschen zu finden.
Für diese Pflege der Zwecke in vier Bereichen unserer Lebenswirklichkeit ist der Boden
die Gesamtheit der Grundwissenschaften,151 die in der philosophischen Fakultät zusam-
mengefaßt sind. Diese Fakultät (heute aus Geistesvergessenheit gespalten in philoso-
189 phische und naturwissenschaftliche Fakultät) dient durch ihre | Erkenntnis den ande-
ren vier Zwecken, aber sie ist über diese hinaus durch ihr zweckfreies Suchen der
Wahrheit in allen greifbaren Richtungen, in Natur- und Geisteswissenschaften, jene
mehr der Medizin und Technik, diese mehr der Theologie und Jurisprudenz zuge-
wandt. Die Fakultät repräsentiert den einen Kosmos der Wissenschaften, zusammen-
gehalten im philosophischen Bewußtsein. Sie bildet sinngemäß die Lehrer.
Der lebendige Geist der Wissenschaft läßt es nicht zu, daß die Wissenschaften, daß
die Fakultäten beziehungslos nebeneinander hergehen. In jeder Wissenschaft wirkt
der Mensch, der als Einzelner zwar seinen besonderen Ort einnimmt, aber nicht ohne
um das Ganze zu wissen und nach allen Seiten seine Zusammenhänge zu ergreifen.
Vom lebendigen Geist der Universität
wir sagen dürfen: hier weiß niemand besser Bescheid als ich. Wir müssen daher in un-
serem Studium nicht sofort, aber bald wählen, an welcher Stelle wir mit Gründlichkeit
uns einarbeiten wollen. Aber all dieses Bemühen wird für das eigentliche Erkennen
vergeblich und in der Praxis zu bloßer Routine, wenn es nicht im Zusammenhang
bleibt mit dem Ganzen des Erkennens. Dieses Ganze treibt uns voran, ist als Keim in uns
von Anfang an, ist das geistige Leben, ist der lebendige Geist, der sich entfaltet auf den
Wegen der Spezialisierung.
Daher der Anspruch an Sie: Sie müssen dahin kommen, wo Sie hingerissen werden
von dem Geist des Zusammenhangs von allem mit allem, von der Wahrheit, die keine
188 Wissenschaft sich isolieren läßt, - wo | das Zusehen bei den anderen Wissenschaften
nicht bloße Neugier ist, sondern der Weg zum Ergreifen der wesentlichen Grundzüge
im Bau unseres Erkennens, dadurch auch zum vollen Erfassen der eigenen Wissenschaft.
Dann erfahren Sie die Einheit der Universität in der vielfachen Gliederung ihrer In-
stitutionen. Sie treten ein in eine große Überlieferung. Die Universität bewahrt und
erneuert die geistigen Grundlagen in den großen Lebensbereichen des Menschen für
die Berufe, die auf Erkenntnis gegründet sind, in den vier Fakultäten, die bis auf eine
aus dem Mittelalter stammen. Es sind die Theologie jurisprudenz, Medizin und Tech-
nik (diese letztere bisher nur in der gesonderten Gestalt der Technischen Hoch-
schule).150 Vergegenwärtigen wir sie kurz:
1. Die Theologie pflegt die Überlieferung der biblischen Religion zum Heil der Seele.
2. Die Jurisprudenz dient dem bürgerlichen Wohl in der Ordnung der Gemein-
schaft.
3. Die Medizin dient der Gesundheit, dem Leibeswohl der Einzelnen und der Hy-
giene der Zustände der gesamten Bevölkerung.
4. Die Technik dient der Daseinsgestaltung in der Beherrschung der Naturkräfte
mit der Aufgabe, eine von Not entlastende und Schönheit ermöglichende Ge-
staltung der Umwelt des Menschen zu finden.
Für diese Pflege der Zwecke in vier Bereichen unserer Lebenswirklichkeit ist der Boden
die Gesamtheit der Grundwissenschaften,151 die in der philosophischen Fakultät zusam-
mengefaßt sind. Diese Fakultät (heute aus Geistesvergessenheit gespalten in philoso-
189 phische und naturwissenschaftliche Fakultät) dient durch ihre | Erkenntnis den ande-
ren vier Zwecken, aber sie ist über diese hinaus durch ihr zweckfreies Suchen der
Wahrheit in allen greifbaren Richtungen, in Natur- und Geisteswissenschaften, jene
mehr der Medizin und Technik, diese mehr der Theologie und Jurisprudenz zuge-
wandt. Die Fakultät repräsentiert den einen Kosmos der Wissenschaften, zusammen-
gehalten im philosophischen Bewußtsein. Sie bildet sinngemäß die Lehrer.
Der lebendige Geist der Wissenschaft läßt es nicht zu, daß die Wissenschaften, daß
die Fakultäten beziehungslos nebeneinander hergehen. In jeder Wissenschaft wirkt
der Mensch, der als Einzelner zwar seinen besonderen Ort einnimmt, aber nicht ohne
um das Ganze zu wissen und nach allen Seiten seine Zusammenhänge zu ergreifen.