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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0165
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Vom lebendigen Geist der Universität

So wird alles, was erfahren werden kann, an der Universität durchdrungen, erhellt
und objektiviert zum Gegenstand der Forschung. Es ist, als ob das gesamte Leben
gleichsam ein Versuch wäre, ein Material des Erkennenden.
195 Wirklichkeitsnähe der Universität bedeutet, daß sie | gegenwärtig ist je in ihrem Zeit-
alter. Lebendiger Geist geht zwar in fernste Zeiten und Zonen, in fremdeste Welten, aber
nicht um sich loszulösen von der Gegenwart, um sich abzukapseln in einer glücklichen
Insel unverbindlichen Betrachtens, - sondern vielmehr: um von überall her die Kräfte
zu wecken zur Erhellung der Gegenwart und zum geistigen Mitwirken an der Zukunft
des Menschseins. Die Universität soll daher das hellste Bewußtsein eines Zeitalters sein.
Fassen wir zusammen: Der lebendige Geist geht auf das Ganze, - lebt in den äußer-
sten Spannungen, - ist Grund der Tiefe und Weite der Erfahrungen. Der lebendige
Geist ist es, der aus der Schule eine Hochschule macht, - der aus den bloß lernbaren
Wissenschaften eines Unterrichtsbetriebes das Leben der Ideen hervorgehen läßt, -
der die Seele aus der Abhängigkeit vom Nutzen befreit, - der gegenwärtig ist im Zeital-
ter, - der aus der Zerstreutheit, in die er ständig losläßt, auch zurückführt zur Konzen-
tration meiner selbst, - der aus der Vergeßlichkeit vielfacher Ansätze die Kontinuität
wachsenden Erkennens entstehen läßt.
Geschichte der Universität
Die Universität ist uralt. Wir gehören einer Institution an, die in Heidelberg über ein
halbes Jahrtausend besteht.158 In ihrer Idee geht sie bis zu den Griechen zurück.109 Sie
hat ihren eigenen übernationalen und überstaatlichen Sinn.159 Sie ist vom Staate und
von anderen Mächten geschützt als ein Anliegen der Menschheit.
Aber die Universität zeigt stärkste Verwandlungen ihrer Einrichtung und äußeren
Erscheinung. Wir sehen hohe Augenblicke des Gelingens zur Nacheiferung, wir sehen
196 mehr noch Zeiten des Verfalls mit der Warnung | an uns. Wir sehen die kritische Lage
der modernen und besonders der gegenwärtigen Universität. Wir spüren, daß die Uni-
versität im Dienst des lebendigen Geistes stets ursprünglich neu zu verwirklichen ist.
Die mittelalterliche Universität war europäisch, kam zuletzt nach Deutschland,
hier zuerst nach Heidelberg. Sie war kirchlich und scholastisch.160 Die Theologie be-
herrschte alles. In dieser Scholastik lebte ein beweglicher, leidenschaftlicher Geist.
Großartige Gedankenbauten hat sie hinterlassen. Diese Universität aber ist für uns
ebenso bewunderungswürdig wie fern.
Halten wir uns für unseren Überblick an Deutschland. Im Laufe der letzten vier
Jahrhunderte sind mit dem Wandel von Staat und Gesellschaft drei Universitätsgestal-
ten einander gefolgt, die protestantische, die klassisch-humanistische, die moderne
Universität.
Die protestantische Universität der Landesherren wurde begründet als Objektivie-
rung des protestantischen Christentums mit dem Zweck, die rechten Pfarrer und Be-
 
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