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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0168
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Vom lebendigen Geist der Universität

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dem gemeinsamen Boden einer standesgemäßen Geselligkeit, andererseits die endlose
Diskussion als das Spiel zufälliger Meinungen, der Eitelkeiten des Rechthabens und
der sophistischen Künste. Überall galt der geheime Vorbehalt: es ist alles unentschie-
den, es ist so ernst nicht gemeint. Konzilianz war die Bedingung, um für einen anstän-
digen Menschen gehalten zu werden.
Wir Professoren hatten nicht mehr den Rang der Forscherpersönlichkeiten, die in
der Zeit des klassischen Idealismus in großer Zahl, wenn auch als Minorität, die Uni-
versitäten beherrschten. Unser Bestes schien jetzt zu sein, daß wir verehren konnten,
was war, und daß wir uns nicht verwechselten. Der Lebenslauf des Professors war be-
amtenartig typisiert. Er wurde selten noch durch eigenes Leben Schöpfer einer Wis-
senschaft. Die geistige Aristokratie schien am Ende. Wer wollte, ergriff nach der Pro-
motion diese Laufbahn. Verstand und Fleiß genügten meist.
Jedes Jahrzehnt sah auf das vorhergehende mit dem Bewußtsein des Niedergangs.
Wie war es Männern zumute, die noch Hegel, Schelling gehört, wie anders schon de-
nen, die Liebig,172 Helmholtz173 kannten! Sie waren noch tüchtig, aber es war schon ein
Abstand. Wer, wie ich, um 1900 zur Universität kam, hörte lauter als je vom Abstieg
sprechen. Aber noch gab es Mommsen,174 Dilthey. Die 90er Jahre erschienen später als
eine noch | goldene Zeit der Universität. Wir selber haben noch Max Weber gesehen.
Aber was wird aus denen, die nur uns sehen! So sagte ich in einem Vortrag, den ich als
prognostische Selbstbesinnung 1929 öffentlich bei einer Zusammenkunft vor Dozen-
ten hielt.175 Darin hieß es weiter:
»Es kann sein, daß wir, im Blick auf die Größe und Wahrheit des Vergangenen, in
unserem wissenschaftlichen Tun nur noch den Schwanengesang singen einer
aussterbenden Menschenart, die wir auf der Grenze stehend gerade verlassen. Ich
glaube es nicht. Das Feuer ist zwar erkaltet bis auf Funken in der Asche, diese aber sind
zu bewahren und werden wieder flammen. Der Mensch kann nicht umgebracht
werden. Wenn es an der Universität geschehen sollte, dann wird er anderswo Wieder-
erstehen.
Aber die Gefahr ist groß. Der soziale Körper trägt die Universität. Er wird sie ver-
nichten und nur eine Schule für Leistungsfähigkeiten und Wissensstoff übrig lassen,
wenn ihre Aufsaugung durch die Instinkte der Majorität am Ende gelingt. Das wird
still, unmerklich geschehen, wenn die Mitglieder der Universität selber diese Instinkte
vertreten. Dieser Sieg kann aber endgültig nur eintreten, wenn alle Einzelnen es wol-
len, weil sie sich aufgeben. Solange noch zwei sind, die die Fahne tragen, ist Zukunft.
Am Ende darf ich eine historische Abschätzung vollziehen. Blickt man auf die Jahr-
tausende und fragt, was eigentlich Wert hatte bei den Völkern, so darf man sagen: Das
Deutschland der letzten vierhundert Jahre wird bestehen durch seine Universität. Der
Deutsche hat keinen Staat von weltgeschichtlicher Bedeutung geschaffen. Er hat kei-
nen Menschentypus geprägt. Es gibt nur die unvergleichlichen Einzelnen in Deutsch-
land. Er hat keine weitläufige Kultur begründet. Da|gegen wurde seine originalste Tat,

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