Vom lebendigen Geist der Universität
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Man sagt vielleicht: Zur Universität kommt, wer sich selber dazu auswählt auf ei-
genes Risiko. Er wird abgelehnt oder ausgeschlossen je nach Leistung. Aber diejenigen,
die in die Lage kommen zu solcher Wahl, sind die Minorität derer, die die höheren
Schulen besucht haben und die Geldmittel für das Studium besitzen.
Es ist der größte Mangel, daß nicht aus der gesamten Bevölkerung die Besten an un-
serem geistigen Leben | mitwirken. Wir dürfen leider nicht das Bewußtsein haben, die 211
ursprünglich geistig Regsamen zu vereinigen. Vielmehr sind wir zu einem nicht gerin-
gen Teil eine zufällige Versammlung von Durchschnittsbegabungen. Die höchsten Be-
gabungen sind selten. Der Verstand zwar ist eine verbreitete Eigenschaft; entscheidend
aber sind die Leidenschaft des Wissenwollens, die Hartnäckigkeit geistiger Arbeit, die
Bereitschaft zu Verzichten, der Gehalt der Seele, der intellektuelle Charakter.
Unser Anspruch auf die Besten aus allen Bevölkerungsschichten wird unwahr als
Anspruch aller, qualifiziert zu sein. Ein falscher Gleichheitsgedanke verwechselt den
Anspruch auf gleiche Chancen mit einem Anspruch auf gleiche Begabung. Die Men-
schen sind ihrer Natur nach sehr verschieden geboren, und die Entschlüsse ihrer Frei-
heit führen zu sehr verschiedenen Ergebnissen.
Dem Ausbleiben von bester geistiger Lebendigkeit müssen wir begegnen, soweit wir
können.
Die entscheidende Auslese erfolgt auf der Schule, nicht an der Universität. Die
große Schwierigkeit ist, die Begabung frühzeitig zu erkennen. Das Problem ist immer
nur in Annäherungen lösbar. Jede neue Gerechtigkeit bringt in der Tat auch neue Un-
gerechtigkeiten.
An der Universität aber fordert ein lebendiger Geist, daß der Maßstab durch die Mi-
norität der Besten gelte, nicht der Durchschnitt. An der Schule sollen alle mitkommen,
damit die meisten ihr Ziel erreichen. Die Hochschule versagt, wenn sie diesem Prinzip
folgt. Wer nicht ständig in äußerster Anspannung aus eigener Initiative arbeitet, der
gehört dem Arbeitstypus nach nicht an die Universität.
Das ist ein Element des Ethos, das an der Universität herrschen soll. Denken Sie
nicht, das didaktisch | Bequeme, das gleich völlig Verständliche sei das Beste. Das Be- 212
ste ist, was Sie anspannt, was Sie anregt zum Nachholen von Kenntnissen und zur Ver-
tiefung des Nachdenkens. Ein junger Student vor mehr als fünfzehn Jahren sagte ein-
mal nach einer Vorlesung im Beginn des Semesters: Ich habe nichts verstanden, aber
da ist etwas zu verstehen; ich werde hingehen. Dieser Student, scheint mir, war in der
rechten Verfassung.
Sie dürfen nicht meinen, durch bloßen Fleiß des Lernens, durch Erwerb von Kennt-
nissen für Beruf und Examen schon genug getan zu haben. Allerdings ist Fleiß, verzeh-
render Fleiß Bedingung geistigen Lebens. Aber hüten Sie sich auch vor einer Verwechs-
lung, zu der gerade philosophische Vorlesungen verführen können: Das allgemeine
Gerede über das Ganze ist nicht Teilnahme am Ganzen, das Schwelgen im Ungefäh-
ren ist nicht Erkenntnis, das Naschen an allem ist nicht Weite des Horizonts. Es bedarf
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Man sagt vielleicht: Zur Universität kommt, wer sich selber dazu auswählt auf ei-
genes Risiko. Er wird abgelehnt oder ausgeschlossen je nach Leistung. Aber diejenigen,
die in die Lage kommen zu solcher Wahl, sind die Minorität derer, die die höheren
Schulen besucht haben und die Geldmittel für das Studium besitzen.
Es ist der größte Mangel, daß nicht aus der gesamten Bevölkerung die Besten an un-
serem geistigen Leben | mitwirken. Wir dürfen leider nicht das Bewußtsein haben, die 211
ursprünglich geistig Regsamen zu vereinigen. Vielmehr sind wir zu einem nicht gerin-
gen Teil eine zufällige Versammlung von Durchschnittsbegabungen. Die höchsten Be-
gabungen sind selten. Der Verstand zwar ist eine verbreitete Eigenschaft; entscheidend
aber sind die Leidenschaft des Wissenwollens, die Hartnäckigkeit geistiger Arbeit, die
Bereitschaft zu Verzichten, der Gehalt der Seele, der intellektuelle Charakter.
Unser Anspruch auf die Besten aus allen Bevölkerungsschichten wird unwahr als
Anspruch aller, qualifiziert zu sein. Ein falscher Gleichheitsgedanke verwechselt den
Anspruch auf gleiche Chancen mit einem Anspruch auf gleiche Begabung. Die Men-
schen sind ihrer Natur nach sehr verschieden geboren, und die Entschlüsse ihrer Frei-
heit führen zu sehr verschiedenen Ergebnissen.
Dem Ausbleiben von bester geistiger Lebendigkeit müssen wir begegnen, soweit wir
können.
Die entscheidende Auslese erfolgt auf der Schule, nicht an der Universität. Die
große Schwierigkeit ist, die Begabung frühzeitig zu erkennen. Das Problem ist immer
nur in Annäherungen lösbar. Jede neue Gerechtigkeit bringt in der Tat auch neue Un-
gerechtigkeiten.
An der Universität aber fordert ein lebendiger Geist, daß der Maßstab durch die Mi-
norität der Besten gelte, nicht der Durchschnitt. An der Schule sollen alle mitkommen,
damit die meisten ihr Ziel erreichen. Die Hochschule versagt, wenn sie diesem Prinzip
folgt. Wer nicht ständig in äußerster Anspannung aus eigener Initiative arbeitet, der
gehört dem Arbeitstypus nach nicht an die Universität.
Das ist ein Element des Ethos, das an der Universität herrschen soll. Denken Sie
nicht, das didaktisch | Bequeme, das gleich völlig Verständliche sei das Beste. Das Be- 212
ste ist, was Sie anspannt, was Sie anregt zum Nachholen von Kenntnissen und zur Ver-
tiefung des Nachdenkens. Ein junger Student vor mehr als fünfzehn Jahren sagte ein-
mal nach einer Vorlesung im Beginn des Semesters: Ich habe nichts verstanden, aber
da ist etwas zu verstehen; ich werde hingehen. Dieser Student, scheint mir, war in der
rechten Verfassung.
Sie dürfen nicht meinen, durch bloßen Fleiß des Lernens, durch Erwerb von Kennt-
nissen für Beruf und Examen schon genug getan zu haben. Allerdings ist Fleiß, verzeh-
render Fleiß Bedingung geistigen Lebens. Aber hüten Sie sich auch vor einer Verwechs-
lung, zu der gerade philosophische Vorlesungen verführen können: Das allgemeine
Gerede über das Ganze ist nicht Teilnahme am Ganzen, das Schwelgen im Ungefäh-
ren ist nicht Erkenntnis, das Naschen an allem ist nicht Weite des Horizonts. Es bedarf