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Die Idee der Universität [1946]
An der Universität verwirklicht sich das ursprüngliche Wissenwollen,198 das zunächst
keinen anderen Zweck hat, als zu erfahren, was zu erkennen möglich ist und was aus
uns durch Erkenntnis wird. Es vollzieht sich die Lust des Wissens im Sehen, in der Me-
thodik des Gedankens, in der Selbstkritik als Erziehung zur Objektivität, aber auch die
Erfahrung der Grenzen, des eigentlichen Nichtwissens sowohl wie dessen, was man
im Wagnis des Erkennens geistig aushalten muß.
Das ursprüngliche Wissenwollen ist eins und geht auf das Ganze. Wenn es sich stets
nur im Besonderen verwirklichen kann, im Handwerk der Spezialitäten, so haben diese
doch ihr geistiges Leben erst dadurch, daß sie Glieder eines Ganzen sind. Im Zusam-
menspiel der Wissenschaften verwirklicht sich ein Kosmos bis zur universalen Welt-
orientierung und bis zur Theologie und Philosophie. Zwar lebt dieses Ganze in Pola-
ritäten, die immer wieder zerreißen zu sich bekämpfenden und ausschließenden
Gegensätzen. Aber die Einheit aller Wissenschaften besteht doch auch dann wenig-
stens durch die Wissenschaftlichkeit, die, bei unendlichen Verschiedenheiten der Ge-
genstände und Probleme, in einer Grundhaltung alle Forscher verbindet.
An der Universität sind Menschen vereinigt in einer Institution zu dem Beruf, die
Wahrheit durch Wissenschaft sowohl zu suchen als auch zu überliefern.
11 | Weil Wahrheit durch Wissenschaft zu suchen ist, ist Forschung das Grundanlie-
gen der Universität. Da aber Wahrheit mehr ist als Wissenschaft und sie durch Wis-
senschaft aus dem umgreifenden Sein des Menschen - nennen wir es Geist, Existenz,
Vernunft - ergriffen wird, ist der Ernst der Persönlichkeit Bedingung des Universitäts-
lebens.
Weil Wahrheit überliefert werden soll, ist Unterricht die zweite Aufgabe der Univer-
sität. Da aber die Überlieferung von bloßen Kenntnissen und Fertigkeiten unzureichend
für das Erfassen von Wahrheit wäre, die vielmehr eine geistige Formung des ganzen
Menschen verlangt, so ist Bildung (Erziehung) der Sinn von Unterricht und Forschung.
Die Idee der Universität zu entwerfen, heißt Orientierung an einem Ideal, dem die
Realität sich nur annähert. Diesen Entwurf versuchen wir in drei Richtungen:
I. Wir vergegenwärtigen das geistige Leben überhaupt, das an der Universität eine
seiner Gestalten verwirklicht.
II. Wir zeigen die Aufgaben der Universität, die sich aus der Verwirklichung des
geistigen Lebens in der Korporation ergeben.
III. Wir besinnen uns auf die Daseinsvoraussetzungen der Universität und deren Fol-
gen.
Die Idee der Universität [1946]
An der Universität verwirklicht sich das ursprüngliche Wissenwollen,198 das zunächst
keinen anderen Zweck hat, als zu erfahren, was zu erkennen möglich ist und was aus
uns durch Erkenntnis wird. Es vollzieht sich die Lust des Wissens im Sehen, in der Me-
thodik des Gedankens, in der Selbstkritik als Erziehung zur Objektivität, aber auch die
Erfahrung der Grenzen, des eigentlichen Nichtwissens sowohl wie dessen, was man
im Wagnis des Erkennens geistig aushalten muß.
Das ursprüngliche Wissenwollen ist eins und geht auf das Ganze. Wenn es sich stets
nur im Besonderen verwirklichen kann, im Handwerk der Spezialitäten, so haben diese
doch ihr geistiges Leben erst dadurch, daß sie Glieder eines Ganzen sind. Im Zusam-
menspiel der Wissenschaften verwirklicht sich ein Kosmos bis zur universalen Welt-
orientierung und bis zur Theologie und Philosophie. Zwar lebt dieses Ganze in Pola-
ritäten, die immer wieder zerreißen zu sich bekämpfenden und ausschließenden
Gegensätzen. Aber die Einheit aller Wissenschaften besteht doch auch dann wenig-
stens durch die Wissenschaftlichkeit, die, bei unendlichen Verschiedenheiten der Ge-
genstände und Probleme, in einer Grundhaltung alle Forscher verbindet.
An der Universität sind Menschen vereinigt in einer Institution zu dem Beruf, die
Wahrheit durch Wissenschaft sowohl zu suchen als auch zu überliefern.
11 | Weil Wahrheit durch Wissenschaft zu suchen ist, ist Forschung das Grundanlie-
gen der Universität. Da aber Wahrheit mehr ist als Wissenschaft und sie durch Wis-
senschaft aus dem umgreifenden Sein des Menschen - nennen wir es Geist, Existenz,
Vernunft - ergriffen wird, ist der Ernst der Persönlichkeit Bedingung des Universitäts-
lebens.
Weil Wahrheit überliefert werden soll, ist Unterricht die zweite Aufgabe der Univer-
sität. Da aber die Überlieferung von bloßen Kenntnissen und Fertigkeiten unzureichend
für das Erfassen von Wahrheit wäre, die vielmehr eine geistige Formung des ganzen
Menschen verlangt, so ist Bildung (Erziehung) der Sinn von Unterricht und Forschung.
Die Idee der Universität zu entwerfen, heißt Orientierung an einem Ideal, dem die
Realität sich nur annähert. Diesen Entwurf versuchen wir in drei Richtungen:
I. Wir vergegenwärtigen das geistige Leben überhaupt, das an der Universität eine
seiner Gestalten verwirklicht.
II. Wir zeigen die Aufgaben der Universität, die sich aus der Verwirklichung des
geistigen Lebens in der Korporation ergeben.
III. Wir besinnen uns auf die Daseinsvoraussetzungen der Universität und deren Fol-
gen.