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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0188
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Die Idee der Universität [1946] 113
a) Wissenschaft im engeren und eigentlichen Sinne entstand zugleich mit einem
Tiefergreifen des Erkennens. Sie entstand als entdeckende Wissenschaft, als For-
schung.
Diese Forschung wird auf neue Weise methodisch. Ein vorangehender Entwurf des
Gedankens findet Prüfung, Bewährung oder Widerlegung in der Erfahrung. Sie ist
gleichsam ein Kampf mit dem Objekt. Dieses wird nicht hingenommen, sondern
durch jene Entwürfe von Möglichkeiten befragt. Das Objekt wird aufgelöst, um zu se-
hen, was hinter ihm steckt. Der Wille zur Gewißheit steigert die Exaktheit des entwer-
fenden Denkens (tritt daher zuerst als das Streben nach Mathematisierung und Quan-
tifizierung auf) und die Exaktheit der Erfahrung (durch Verfeinerung der Beobachtung,
insbesondere der Messungen). Die Exaktheit wird bis zum Maximum des Möglichen
getrieben, um die Kriterien, die in der Abweichung oder dem Zutreffen der Beobach-
tung liegen, bis zum Äußersten an Verläßlichkeit zu bringen.
Mit dieser Wissenschaft, welche die Gewißheit in ihrer zwingenden Allgemeingül-
tigkeit weitergetrieben hat, als je geahnt wurde, wird zugleich das klare Wissen über
ihre jeweiligen eigenen Voraussetzungen gewonnen. Voraussetzungslos ist sie nur
darin, daß sie jede Voraussetzung als einen Versuch auffaßt, und darin, daß sie Voraus-
setzungen abweist, die die Wahrheit und Wirklichkeit aus Tendenzen verschleiern oder
| verschieben. Sie arbeitet mit Voraussetzungen, die sie als solche weiß und auf ihre
entdeckende, fruchtbare Kraft hin versucht.
Die Wahrheit der Voraussetzungen in der Forschung zeigt sich durch ihre Wirkung
in der faktischen Erkenntnis. Warum die einen Voraussetzungen zu Entdeckungen füh-
ren, die anderen aber versagen, das ist eine weitere Frage, die die Wahrheit im Ergebnis
nicht berührt, sondern in den Wahrheitsgrund der Forschung selber dringen möchte.
Ist es der Zufall, der unter zahlreichen möglichen vergeblichen Spekulationen einzelne
bevorzugt, die übrigen nichtig bleiben läßt? Ist es eine glückliche Wahl aus unabsicht-
licher Nähe zur Wirklichkeit der Dinge, aus einem unbegründbaren Ahnungsvermö-
gen des Forschers? Es ist wohl möglich, die großen Erfolge der Forschung, wenn sie da
sind, nachher aus den Prinzipien zu verstehen, mit denen sie begann. Aber im Anfang
der Entwicklung sind sie noch keineswegs in dieser ihrer Bedeutung vollständig klar.
Warum begründeten Galilei, Lavoisier205 Forschungsbewegungen, deren Ergiebigkeit,
mit Sprüngen neuer Ansätze, bis heute andauert? Lavoisier z.B. machte folgende Vor-
aussetzungen, die alle vor ihm gedacht waren, aber die er zuerst unablässig festhielt, in-
dem er keine Ausnahme zuließ, sondern auf ihnen als auf absoluten Wahrheiten baute:
Was nicht weiter auflösbar ist, ist ein Element; - die Materie wird weder vermehrt noch
vermindert; - die Masse jeder Materie wird zuverlässig am Gewicht erkannt, da alles,
was ist, der gleichen Schwerkraft unterliegt. Die Waage wurde auch vor ihm angewen-
det, aber durch ihn wurde die Ausnahmslosigkeit das Unumgängliche der Vorausset-
zungen, die Kompromißlosigkeit der gedanklichen Konsequenz zum Ursprung der Ent-
deckungen. Die Voraussetzungen waren gegen den Augenschein, der jederzeit verführt,

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