Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0220
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Idee der Universität [1946]

145

Die Lehre an der Universität darf nicht im Schema gerinnen. Denn sie hat, wo sie
geistig ist, immer auch persönliche Gestalt, ohne Absicht; denn nur bei reiner Sach-
lichkeit in der Bewegung durch die Idee kommt eine echte persönliche Gestalt zur Gel-
tung. Diese Abweichungen persönlicher Art und die besonderen Zwecke des Augen-
blicks lassen den Unterricht immer wieder anders erscheinen.
| Ein Unterricht sieht anders aus, wenn er sich an die Masse des Durchschnitts hält, 57
als wenn er sich an eine Auswahl Begabter wendet. Es ist ein Grundunterschied der
Schulen auf der einen Seite und der Universität auf der anderen, daß die ersteren alle
ihnen anvertrauten Zöglinge lehren und erziehen sollen, letztere dazu keineswegs ver-
pflichtet ist. Der Sinn der Universitätsbildung ist, daß sie nur einer Auswahl solcher
Menschen zukommt, die von ungewöhnlichem geistigen Willen beseelt sind und zu-
reichende Werkzeuge haben. Tatsächlich kommt zur Universität eine durchschnittli-
che Masse von Menschen, die durch den Besuch einer höheren Schule sich die erfor-
derlichen Kenntnisse erwerben konnten. Die geistige Auslese wäre daher an die
Universität selbst verlegt. Das Wichtigste, der Wille zur Objektivität29 und das unbe-
zähmbare, opferbereite Drängen zum Geist, sind gar nicht vorher, objektiv und direkt,
erkennbar. Diese Anlage, die nur bei einer Minorität von Menschen in unberechenba-
rer Verteilung vorhanden ist, kann nur indirekt bevorzugt und zur Wirksamkeit ge-
bracht werden. Der Unterricht an der Hochschule hat sich der Idee der Universität
nach auf diese Minorität einzustellen. Der echte Student vermag unter Schwierigkei-
ten und unter Irrtümern, die für die geistige Entwicklung nötig und unausweichlich
sind, in dem reichen Angebot an Unterricht und Möglichkeiten an der Universität sei-
nen Weg durch Auswahl und Strenge seines Studiums zu finden. Es ist in Kauf zu neh-
men, vielleicht sogar erwünscht, daß die anderen in Ratlosigkeit, wie sie es anfangen
sollen, aus Mangel an Leitung und Vorschrift möglichst gar nichts lernen. Die künst-
lichen Gängelbänder, die Studienpläne und alle die anderen Wege der Verschulung
widersprechen der Universitätsidee und sind aus Anpassung an die durchschnittliche
Masse der Studenten entstanden. Man sagte sich: die Masse der Studenten, die zu uns
kommt, muß etwas lernen, jedenfalls so viel, daß die Examina bestanden werden kön-
nen. Dieser Grundsatz ist für die Schule ebenso trefflich, wie er für die Universität, die
ja auch schon dem Alter nach Erwachsene als Studenten hat, verderblich ist.
Beim Hochschulunterricht kann es sich aber trotz allem nicht um die ganz weni-
gen Allerbesten handeln. Rohde86 meinte: von 100 Hörern verständen den Dozenten
99 nicht, und der hundertste brauche ihn nicht.87 Das wäre trostlos. Es kommt auf
| eine Minorität an, die das Studium braucht, aber nicht auf den Durchschnitt. Der Un- 58
terricht wendet sich nicht an die Hervorragendsten, nicht an die Mittelmäßigen, son-
dern an diejenigen, die des Aufschwungs und der Initiative fähig sind, aber des Unter-
richts bedürfen.
Unterricht, der einen Lehrstoff nach dem Maßstab der Fähigkeiten der Minderbe-
gabten und Arbeitsscheuen, des Durchschnitts, einprägt, ist wohl auch immer unum-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften