Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0227
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
152

Die Idee der Universität [1946]

Nur als Institution hat die Universität ihr Dasein in der Welt. Ihre Idee gewinnt in
der Institution ihren Leib. Der Leib hat Wert in dem Maße, wie die Idee sich in ihm
verwirklicht. Der Leib wird wertlos, wenn die Idee ihn verläßt. Aber jede Institution
66 muß Anpassungen und Einschränkungen der Idee | zulassen. Die Idee wird niemals als
Ideal wirklich, sondern bleibt in der Bewegung. Daher ist in der Universität eine stän-
dige Spannung zwischen der Idee und den Mängeln der institutionellen und korpora-
tiven Verwirklichung.

1. Das Absinken der Idee in der Institution245
Die guten Einrichtungen der Universität haben als solche schon die Tendenz zu einem
Absinken und gar zu einer Verkehrung ihres Sinnes. Zum Beispiel:
Verwandlung in überlieferbares Lehrgut hat die Tendenz, im nunmehr Bestehen-
den das geistige Leben verarmen zu lassen. Alles neigt zu erstarren. Die Aufnahme des
geistigen Erwerbs in die Tradition läßt die Formen des Erworbenen als endgültig er-
scheinen. Was einmal da ist, läßt sich schwer ändern. Z.B. ist die Abgrenzung der ein-
zelnen wissenschaftlichen Fächer durch Gewohnheit fixiert. Es kann vorkommen, daß
ein hervorragender Forscher nach der gegebenen Facheinteilung keinen Platz findet,
so daß bei der Besetzung eines Lehrstuhls ein minderwertiger Forscher vorgezogen
wird, weil er in seinen Leistungen dem überlieferten Schema entspricht.
Die Institution hat die Tendenz, sich zum Endzweck zu machen. Daß sie unerläß-
liche Lebensbedingung für den Fortgang und die Überlieferung der Forschung ist, ver-
langt zwar, ihr Dasein unter allen Umständen zu erhalten, verlangt aber auch die stän-
dige Prüfung, ob ihr Sinn als Mittel dem Zweck der Verwirklichung der Idee entspricht.
Aber eine Verwaltungsorganisation will als solche beharren.
Die freie Auswahl der Persönlichkeiten bei Berufungen geht ihrem Sinne nach zwar
auf die besten Männer, hat aber zumeist eine Tendenz zu den zweitbesten. Jede Korpo-
ration - nicht nur die Universität - hat eine unbewußte Solidarität geistwidriger Inter-
essen der Konkurrenz und der Eifersucht. Man wehrt sich instinktiv gegen die überra-
genden Persönlichkeiten, sucht sie auszuschalten, und man lehnt die minderwertigen
Persönlichkeiten ab, da sie Einfluß und Ansehen der Universität stören würden. Man
wählt den »Tüchtigen«, das Mittelgut, die Menschen gleicher Geistesartung. Darum
ist eine Kontrolle der Fakultäten, die ihre Glieder auf frei gewordene Lehrstühle beru-
67 fen, durch eine andere Instanz erforderlich. So meint | J. Grimm: »Die Wahl der Profes-
soren überhaupt hat aber der Staat nicht aus seiner Hand zu lassen, da kollegialischen,
von der Fakultät vorgenommenen Wahlen die allermeiste Erfahrung widerstreitet.
Selbst über reingestimmte, redliche Männer äußert die Scheu vor Nebenbuhlern im
Amt eine gewisse Gewalt.«246
Ein Verhängnis liegt in der Auswahl des Nachwuchses der Institution. Die Universi-
tät ist ja keineswegs zugänglich für jeden Menschen mit geistigen Leistungen. Der Zu-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften