Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0236
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Idee der Universität [1946]

161

Verarmung des Wissensbewußtseins durch die Beschränkung auf die übersteigerte be-
sondere Wissenschaft eintritt.
Das Eine des Wissens ist Idee. Jede Einteilung der Wissenschaften ist ein vorläufi-
ges Schema der Idee aus einem besonderen Gesichtspunkt in einer geistesgeschichtli-
chen Situation und ist daher auch falsch.

2. Die Fakultäten
Der an der Universität lebende Kosmos der Wissenschaften kann nicht aus einem Prin-
zip entworfen sein. Nicht ein Kopf | hat aus dem Wissen des gesamten Umfangs das 78
Ganze geplant wie ein Fabrikunternehmen, in dem die Arbeit geteilt wird. Vielmehr
sind die Wissenschaften als eine Vielheit je auf ein Ganzes gehender Erkenntnisbewe-
gungen erwachsen. Die konkreten Wissenschaften sind solche Ganzheiten geblieben.
Sie liegen nicht wie säuberlich abgetrennte Fächer eines Aktenschranks nebeneinander,
sondern überschneiden sich, treten miteinander in Beziehung, ohne sich darum not-
wendig zu vermischen, gliedern sich, ohne darum ineinander zu fließen, auf ein unend-
liches erfülltes Eines hin. Diese Bewegung miteinander, ohne daß starre Punkte beste-
hen, dieses Leben aus dem Ganzen, aber in je besonderer Gestalt, dieses Sichgliedern
immer auch getrennt bleibender Untersuchungen macht das Wesen der Universität aus.
Die heute noch bestehenden Fakultäten stammen aus dem Mittelalter. Es waren
die oberen Fakultäten: die theologische, juristische, medizinische und als vierte, un-
tere Fakultät kamen die artes liberales250 hinzu (die heutige philosophische Fakultät).
Der Sinn dieser Fakultäten hat sich gewandelt mit dem Sinn der Forschung. Sie sind
schon vor einundeinhalb Jahrhunderten hier und da vermehrt, dann wieder auf die
alte Anzahl zurückgeführt worden. Heute gibt es infolge Spaltung der philosophischen
Fakultät in eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaft-
liche (dann noch die philosophische genannte) meistens fünf Fakultäten.
Die Fakultäten sind zu verstehen unter der Idee einer realen Darstellung des Kos-
mos der Wissenschaften. Sie repräsentieren das Ganze des Wissens. Jedoch sind sie
nicht erwachsen aus einem theoretischen Schema der Wissenschaftsgliederung, son-
dern aus den großen Bereichen praktischen geistigen Tuns. Wie wahr von vornherein
die Wurzeln dieses Tuns getroffen sind, zeigt sich darin, daß die Fakultäten heute noch
ihre Geltung haben trotz radikaler Verwandlungen nicht nur der Welt, sondern des
Wissens und Forschens seit dem Mittelalter. Theologie jurisprudenz und Medizin um-
fassen bleibende Grundbereiche im Verstehen der religiösen Offenbarung, des positi-
ven Rechts- und Staatslebens, der Natur des Menschen. Sie sollen vorbereiten zur Pra-
xis des Pfarrers, des Richters und Verwaltungsbeamten, des Arztes. Sie alle brauchen
ein gemeinsames Grundwissen, zum mindesten das der Logik und Philosophie.
| Theologie und Jurisprudenz und Medizin haben einen Zweck außerhalb der Wis- 79
senschaft: das ewige Heil der Seele, das bürgerliche Wohl als Glied der Gesellschaft,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften