Die Idee der Universität [1946]
163
ärztlichen Aufgabe bleibt in einer Spannung. Sie wird bodenlos bei Preisgabe des Ge-
sundheitsziels als absoluten Rechts jedes Einzelnen; aber sie verliert sich ebenso in be-
quemer Eindeutigkeit des Wesens der Gesundheit.
Wird z.B. eine bestimmte Artung bevorzugt oder wird ein besonderes leibliches Mo-
ment des Menschseins vor den Menschen im Ganzen gestellt, dann gibt es Gründe,
zum vermeintlichen Vorteil der Gesamtheit Gesundheit und Leben Einzelner medizi-
nisch zu schädigen. Man kommt unter dem Namen Euthanasie zum Mord der Geistes-
kranken, der Idioten, zur Zwangssterilisierung solcher, von denen man ungünstige
Vererbungschancen erwartet.253
Vernunft, Naturrecht (Gerechtigkeit), Leben und Gesundheit sind unumgängliche
Maßstäbe, wenn das Forschen und Tun der drei oberen Fakultäten Sinn behalten soll.
Daß in Offenbarung, positivem Recht, menschlicher Artung, wie sie ist, dunkle, ins
Grenzenlose erhellbare, aber zuletzt auch immer unerhellte Mächte bleiben, gibt dem
Forschen Gehalt und Bewegung.
Die philosophische Fakultät hat eine einzigartige Stellung. Sie bereitete ursprünglich
nicht auf einen bestimmten Beruf vor, sondern sie war ihrem Sinne nach die Vorschule
für alle andern - die oberen - Fakultäten. Diese Stellung hat sich gewandelt. Aus der
Vorbereitung ist sie zur Grundlage geworden. Sie umfaßt für sich allein alle Wissen-
schaften. Die drei andern Fakultäten haben ihren wissenschaftlichen Sinn aus der Be-
rührung mit den Grundwissenschaften, die in der philosophischen Fakultät zusam-
mengefaßt sind. So ist die philosophische Fakultät, wenn man allein auf Forschung
und Theorie den Blick richtet, für sich schon die gesamte Universität. Eine Einteilung
der Wissenschaften, die alles, was Gegenstand in der philosophischen Fakultät wird,
umfaßt, ist vollständig.
Sowohl die Einzigartigkeit der philosophischen Fakultät wie ihre Einheit gerieten
im Laufe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit. Man ließ die Fakultät sich spalten - in
eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche Fakul-
tät, von der schließlich als weitere noch die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät ab-
getrennt wurde. Und man sah die Fakultäten als ein Nebeneinander, nicht in einem
Aufbau. So ging der Sinn der Einheit der Universität verloren. Die Universität wurde
für das Bewußtsein der in ihr Lebenden in der Tat ein Aggregat und gleichsam ein gei-
stiges Warenhaus.
Die Motive für die Spaltung waren mehrere: der Umfang der alten Fakultät (sie um-
faßt mehr Professoren als die drei anderen Fakultäten zusammen); der Riß zwischen Na-
tur- und Geisteswissenschaften, der bis zur Entfremdung des Nichtverstehens und der
gegenseitigen abschätzigen Beurteilung ging; die Ausbildung zu verschiedenen Berufen:
Lehrer, Diplomchemiker, Diplomphysiker und Diplomgeologen, Diplomvolkswirt.
Die neue Verwirklichung der Einheit der Universität aus dem Bewußtsein des ei-
nen Kosmos der Wissenschaften kann nicht in einer Wiederherstellung früherer Zu-
stände bestehen. Es kommt darauf an, den ganzen Umfang des modernen Wissens und
81
163
ärztlichen Aufgabe bleibt in einer Spannung. Sie wird bodenlos bei Preisgabe des Ge-
sundheitsziels als absoluten Rechts jedes Einzelnen; aber sie verliert sich ebenso in be-
quemer Eindeutigkeit des Wesens der Gesundheit.
Wird z.B. eine bestimmte Artung bevorzugt oder wird ein besonderes leibliches Mo-
ment des Menschseins vor den Menschen im Ganzen gestellt, dann gibt es Gründe,
zum vermeintlichen Vorteil der Gesamtheit Gesundheit und Leben Einzelner medizi-
nisch zu schädigen. Man kommt unter dem Namen Euthanasie zum Mord der Geistes-
kranken, der Idioten, zur Zwangssterilisierung solcher, von denen man ungünstige
Vererbungschancen erwartet.253
Vernunft, Naturrecht (Gerechtigkeit), Leben und Gesundheit sind unumgängliche
Maßstäbe, wenn das Forschen und Tun der drei oberen Fakultäten Sinn behalten soll.
Daß in Offenbarung, positivem Recht, menschlicher Artung, wie sie ist, dunkle, ins
Grenzenlose erhellbare, aber zuletzt auch immer unerhellte Mächte bleiben, gibt dem
Forschen Gehalt und Bewegung.
Die philosophische Fakultät hat eine einzigartige Stellung. Sie bereitete ursprünglich
nicht auf einen bestimmten Beruf vor, sondern sie war ihrem Sinne nach die Vorschule
für alle andern - die oberen - Fakultäten. Diese Stellung hat sich gewandelt. Aus der
Vorbereitung ist sie zur Grundlage geworden. Sie umfaßt für sich allein alle Wissen-
schaften. Die drei andern Fakultäten haben ihren wissenschaftlichen Sinn aus der Be-
rührung mit den Grundwissenschaften, die in der philosophischen Fakultät zusam-
mengefaßt sind. So ist die philosophische Fakultät, wenn man allein auf Forschung
und Theorie den Blick richtet, für sich schon die gesamte Universität. Eine Einteilung
der Wissenschaften, die alles, was Gegenstand in der philosophischen Fakultät wird,
umfaßt, ist vollständig.
Sowohl die Einzigartigkeit der philosophischen Fakultät wie ihre Einheit gerieten
im Laufe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit. Man ließ die Fakultät sich spalten - in
eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche Fakul-
tät, von der schließlich als weitere noch die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät ab-
getrennt wurde. Und man sah die Fakultäten als ein Nebeneinander, nicht in einem
Aufbau. So ging der Sinn der Einheit der Universität verloren. Die Universität wurde
für das Bewußtsein der in ihr Lebenden in der Tat ein Aggregat und gleichsam ein gei-
stiges Warenhaus.
Die Motive für die Spaltung waren mehrere: der Umfang der alten Fakultät (sie um-
faßt mehr Professoren als die drei anderen Fakultäten zusammen); der Riß zwischen Na-
tur- und Geisteswissenschaften, der bis zur Entfremdung des Nichtverstehens und der
gegenseitigen abschätzigen Beurteilung ging; die Ausbildung zu verschiedenen Berufen:
Lehrer, Diplomchemiker, Diplomphysiker und Diplomgeologen, Diplomvolkswirt.
Die neue Verwirklichung der Einheit der Universität aus dem Bewußtsein des ei-
nen Kosmos der Wissenschaften kann nicht in einer Wiederherstellung früherer Zu-
stände bestehen. Es kommt darauf an, den ganzen Umfang des modernen Wissens und
81