Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0251
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
176

Die Idee der Universität [1946]

Dieses Ideal ist nicht vollendet zu verwirklichen, weil alle Menschlichkeit im Fluß
ist, und jede Verwirklichung, selbst wenn sie einen Moment gelänge, im nächsten Au-
genblick sich innerlich verwandeln würde zu den alten Unstimmigkeiten.
Denn:
a) Die Anschauung, welche persönlichen Werte die höchsten seien, wechselt. Die
verschiedenen Begabungen sind je nach der soziologischen, ökonomischen und tech-
nischen Weltlage verschieden gut zu brauchen.
b) Jeder Rang wird alsbald irgendwie fixiert. Ohne Dauer und Kontinuität geht es
nicht. Ob die Menschen als Nachkommen (ererbter Rang) oder als Schüler sich ablö-
sen, ist kein erheblicher Unterschied. Die Folgenden pflegen, nachdem einmal eine
schöpferische Gruppe die Führung hatte, bloße Epigonen zu sein, Tradition zu haben
und den ursprünglichen Geist zu verlieren.
Das Ideal, schon aus diesen Gründen stets auch im Verfall, ist angewiesen auf die
beste Auslese für die führenden oder gehobenen Tätigkeiten aus der Gesamtheit der
jeweils Lebenden. Die Unterschiede in der soziologischen Stellung der Menschen for-
dern jederzeit diese Auslese. Diese Auslese findet unmerklich statt oder wird bewußt
gelenkt. Sie ist unumgänglich.
98 | Die sie bewirkenden Kräfte sind mannigfach. Sie erreicht den Sinn der gerechten
Verteilung nur höchst beschränkt. Das Ideal, daß jeder Mensch seiner Anlage entspre-
chend erhielte, lernte, täte, was er seinem Wesen nach kann, ist selbst bei den größten
und glücklichsten Menschen nicht erreicht. Der Mensch ist ein der Idee nach Unendli-
ches, das jeweils in endliche Bedingungen eingespannt ist und nur in diesen, indem es
sie ergreift, Substanz gewinnt. Angesichts dieser Situation kommt es für jeden Menschen
darauf an, seine Einschränkungen zu übernehmen und in ihnen frei zu werden. Die Ein-
schränkung besteht durch Vererbung und Anlage. Der Mensch lebt in der Zeit und kann
nicht alles zugleich, sein Leben ist begrenzt, er muß sich beschränken, seine anlagemä-
ßigen Werkzeuge legen ihm Fesseln an, die er nicht abzuwerfen vermag - trotz allem ist
er sich seiner Freiheit bewußt.51 Die Einschränkung besteht durch Herkunft und sozio-
logische Bedingungen. Sie geben den Anlagen verschieden günstige Chancen. Auch hier
läßt sich der geistige Mensch in aller Enge seine Freiheit nicht völlig nehmen.
Solche Haltung gegenüber dem Zwang der mannigfachen Chancen und Schran-
ken ist die des einzelnen Menschen im Kampf um seine Verwirklichung. Ganz anders
verhalte ich mich, wenn ich Tatsachen feststelle, um am Ende vielleicht Maßnahmen
zu finden, welche den Gang der Auslese zugunsten der Besten sinnvoll lenken.
Tatsachen sind z.B. die soziologische Herkunft geistig hervorragender Menschen in
bestimmten historischen Zeiten. Man kann fragen: aus welchen Kreisen stammen die
hervorragenden Männer? Die berühmten Deutschen von 1700 bis 1860',52 deren Dar-

Nach Maas, Über die Herkunftsbedingungen der geistigen Führer, Arch. f. Sozialwissenschaft,
Bd. 41.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften