Die Idee der Universität [1946]
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seine Zwecke hinausgeht. Niemals kann der Staat, ohne gegen den Sinn der Idee zu
verstoßen, in den Inhalt der Lehre eingreifen. Es ist gefährlich für die Universität, aber
unerläßlich, wenn der Staat politische Handlungen und | auch Worte unmittelbar po- 118
litischer Relevanz bei Mitgliedern der Universität bekämpft und ahndet.
Weil der Staat seine Beamten, Ärzte, Pfarrer, Ingenieure, Chemiker usw. braucht,
hat er ein Interesse an ihrer besten Ausbildung. Diese ist aber an der Universität zu ent-
werfen, vom Staat nur zu kontrollieren. Die Staatsexamina sind das Instrument, das
entscheidend von der Universität selber ausgebildet und ausgeübt wird, solange die
Universitätsidee herrscht. Auch hier kann die staatliche Verwaltung nicht in den wis-
senschaftlichen Inhalt eingreifen, außer im Sinne der Förderung durch Aufsicht in der
Richtung des von der Universitätsidee selbst Geforderten.
4. Das geistesaristokratische Prinzip
Der Amerikaner Abraham Flexner266 schrieb 1930 (Die Universitäten, deutsche Übers.
1932, S. 241): »Die Demokratie ist keine geistige Möglichkeit, abgesehen von der Tatsa-
che, daß jedes Individuum auf Grund seiner Fähigkeiten die Möglichkeit haben sollte,
in die Geistesaristokratie aufgenommen zu werden, ohne irgendwelche anderen Rück-
sichten. Dieser Einstellung, daß die Universität im demokratischen Sinne zugänglich
sein muß, wurde Deutschland (nach 1918) näher gebracht. Wird man ausreichende
Maßnahmen finden, um die Mittelmäßigen und die Untauglichen auszuschließen?
Es wäre nicht nur für Deutschland, sondern auch für die ganze übrige Welt ein trauri-
ger Tag, wenn die deutsche soziale und politische Demokratie eines Tages keinen Platz
mehr für eine Geistesaristokratie haben würde.«267
Es sind zwei Probleme: erstens das geistesaristokratische Prinzip, das innerhalb der
Universität zu Abstufungen führt, zweitens die Duldung und Förderung einer Mino-
rität durch das im Staatswillen wirksame Volk. Dieses letztere betonte Flexner. Es han-
delt sich um eine politische Frage.
Geistige Aristokratie ist nicht eine soziologische Aristokratie. Jeder dazu Geborene
sollte den Weg zu den Studien finden. Diese Aristokratie ist Freiheit eigenen Ursprungs,
begegnet beim Erbadel wie beim Arbeiter, bei Reichen und bei Armen, überall gleich
selten. Sie kann nur eine Minorität sein.
| Die Majorität aber hat immer eine Abneigung gegenüber bevorzugten Einzelnen 119
und bevorzugten Minoritätsgruppen. Der Haß ist groß gegen Reichtum, gegen Bega-
bungsüberlegenheit, gegen Bildung, welche einer Tradition verdankt wird, am größ-
ten gegen gefühlte Wesensfremdheit, gegen das ursprüngliche Wissenwollen in seiner
Unbedingtheit, von dem man selbst nicht bewegt ist und das in der Tat wie ein Adel
den niedrigeren Menschen aufzufordern scheint, hinanzuklimmen. Der Niedere kann
es nicht, weil er nicht will, während der Edle den Edleren liebt, aus stiller Verehrung
liebt, um die rechten Ansprüche an sich selbst zu stellen.
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seine Zwecke hinausgeht. Niemals kann der Staat, ohne gegen den Sinn der Idee zu
verstoßen, in den Inhalt der Lehre eingreifen. Es ist gefährlich für die Universität, aber
unerläßlich, wenn der Staat politische Handlungen und | auch Worte unmittelbar po- 118
litischer Relevanz bei Mitgliedern der Universität bekämpft und ahndet.
Weil der Staat seine Beamten, Ärzte, Pfarrer, Ingenieure, Chemiker usw. braucht,
hat er ein Interesse an ihrer besten Ausbildung. Diese ist aber an der Universität zu ent-
werfen, vom Staat nur zu kontrollieren. Die Staatsexamina sind das Instrument, das
entscheidend von der Universität selber ausgebildet und ausgeübt wird, solange die
Universitätsidee herrscht. Auch hier kann die staatliche Verwaltung nicht in den wis-
senschaftlichen Inhalt eingreifen, außer im Sinne der Förderung durch Aufsicht in der
Richtung des von der Universitätsidee selbst Geforderten.
4. Das geistesaristokratische Prinzip
Der Amerikaner Abraham Flexner266 schrieb 1930 (Die Universitäten, deutsche Übers.
1932, S. 241): »Die Demokratie ist keine geistige Möglichkeit, abgesehen von der Tatsa-
che, daß jedes Individuum auf Grund seiner Fähigkeiten die Möglichkeit haben sollte,
in die Geistesaristokratie aufgenommen zu werden, ohne irgendwelche anderen Rück-
sichten. Dieser Einstellung, daß die Universität im demokratischen Sinne zugänglich
sein muß, wurde Deutschland (nach 1918) näher gebracht. Wird man ausreichende
Maßnahmen finden, um die Mittelmäßigen und die Untauglichen auszuschließen?
Es wäre nicht nur für Deutschland, sondern auch für die ganze übrige Welt ein trauri-
ger Tag, wenn die deutsche soziale und politische Demokratie eines Tages keinen Platz
mehr für eine Geistesaristokratie haben würde.«267
Es sind zwei Probleme: erstens das geistesaristokratische Prinzip, das innerhalb der
Universität zu Abstufungen führt, zweitens die Duldung und Förderung einer Mino-
rität durch das im Staatswillen wirksame Volk. Dieses letztere betonte Flexner. Es han-
delt sich um eine politische Frage.
Geistige Aristokratie ist nicht eine soziologische Aristokratie. Jeder dazu Geborene
sollte den Weg zu den Studien finden. Diese Aristokratie ist Freiheit eigenen Ursprungs,
begegnet beim Erbadel wie beim Arbeiter, bei Reichen und bei Armen, überall gleich
selten. Sie kann nur eine Minorität sein.
| Die Majorität aber hat immer eine Abneigung gegenüber bevorzugten Einzelnen 119
und bevorzugten Minoritätsgruppen. Der Haß ist groß gegen Reichtum, gegen Bega-
bungsüberlegenheit, gegen Bildung, welche einer Tradition verdankt wird, am größ-
ten gegen gefühlte Wesensfremdheit, gegen das ursprüngliche Wissenwollen in seiner
Unbedingtheit, von dem man selbst nicht bewegt ist und das in der Tat wie ein Adel
den niedrigeren Menschen aufzufordern scheint, hinanzuklimmen. Der Niedere kann
es nicht, weil er nicht will, während der Edle den Edleren liebt, aus stiller Verehrung
liebt, um die rechten Ansprüche an sich selbst zu stellen.