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Hochschulreform? Das Gutachten des Hamburger Studienausschusses
Mir scheint, daß diese Grenze festgelegt ist durch das Strafgesetzbuch. Darüber hin-
aus eine unbestimmte Sphäre zuzulassen, innerhalb derer es möglich wäre, durch Dis-
ziplinarverfahren einen Mißbrauch der Freiheit von Forschung und Lehre in Hinsicht
auf den konkreten Einzelfall durch Entziehung der venia docendi oder Amtsenthebung
oder Strafen zu ahnden, kann, ja muß am Ende tödlich für die geistige Freiheit wirken.
Diese ist nur zu halten, wenn man sogar dem Unsinn und dem Närrischen, wenn wi-
der Erwarten bei einem Forscher erscheinend, Raum läßt derart, daß man dieses nicht
durch disziplinarische Mittel, sondern durch öffentliche und interne Kritik sich kor-
rigieren läßt. Fälle in Breslau,271 in Heidelberg315 und andernorts sind Beispiele aus der
Zeit der Weimarer Republik, an denen man sowohl die Taktlosigkeit von Dozenten wie
die für den Sinn der Universitätsidee unmögliche Ahndung durch Eingriff in die Rechte
des Lehrens demonstrieren kann. Es heißt im Gutachten: »die Freiheit der Lehre und
Forschung hat ihre Grenze an den Menschenrechten und an dieser Freiheit selbst, so
daß ein Mißbrauch der Freiheit gegen die Freiheit und gegen die Menschenrechte ver-
hindert werden muß.«316 Welch dunkel verhängnisvolle Sätze! Wird in ihnen der Un-
terschied von politischer Handlung und theoretischer Lehre vergessen? Wollen sie
verhindern, daß ein Forscher von Rang (darauf kommt es an) etwa marxistische oder
totalitäre Lehren vorträgt? Lehre muß durch Lehre durchhellt und korrigiert werden.
344 Sollen | überhaupt sogenannte »Weltanschauungen«, sei es ausgeschlossen, sei es ge-
fördert werden? Das Gutachten sagt historisch richtig, daß die Freiheit von Forschung
und Lehre geboren sei »aus einem Kampf gegen die Herrschaftsansprüche politischer,
kirchlicher und wirtschaftlicher Mächte«.317 Aber in dem Satze: »es wird immer zur Ten-
denz der politischen und wirtschaftlichen Mächte gehören, die Universität als höch-
ste Bildungsstätte der Nation in der Richtung zu bestimmen, die sie für wünschens-
wert halten«,318 in diesem Satze sind die kirchlichen Mächte weggelassen. Zufällig? Wo
heute wahrscheinlich an deutschen Hochschulen eine kirchliche Personalpolitik auf
Grund politischer Parteimächte mehr als im ganzen abgelaufenen Jahrhundert mög-
lich und drohend ist. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist vielleicht gefährdeter
als wir es je erlebt haben. Die stärksten rechtlich-formalen Schranken sind notwendig,
um Eingriffe zu erschweren. Unsere Ahnen in großer geistiger Zeit wußten das. Im Hei-
delberger Universitätsstatut von etwa 1803319 zum Beispiel wird ausdrücklich die Ent-
ziehung einer einmal erteilten venia legendi davon abhängig gemacht, daß der Betrof-
fene sich gegen Gesetze vergangen habe, die im Kriminalrecht unter Strafe stehen.
Wenn ich an das praktisch Dringendste denke, so scheint es mir die Verwirklichung des
Zugangs der Besten aus der gesamten Bevölkerung zur Hochschule zu sein. Das Gutach-
ten fordert sie mit Recht. Aber gerade hier gibt es keine eingreifenden Vorschläge, son-
dern es beschränkt sich darauf, hinzuweisen auf die höhere Schule als Stätte der Auslese
und auf die Maturität als Bedingung für Zulassung zur Universität. Das ist durchaus rieh-
Hochschulreform? Das Gutachten des Hamburger Studienausschusses
Mir scheint, daß diese Grenze festgelegt ist durch das Strafgesetzbuch. Darüber hin-
aus eine unbestimmte Sphäre zuzulassen, innerhalb derer es möglich wäre, durch Dis-
ziplinarverfahren einen Mißbrauch der Freiheit von Forschung und Lehre in Hinsicht
auf den konkreten Einzelfall durch Entziehung der venia docendi oder Amtsenthebung
oder Strafen zu ahnden, kann, ja muß am Ende tödlich für die geistige Freiheit wirken.
Diese ist nur zu halten, wenn man sogar dem Unsinn und dem Närrischen, wenn wi-
der Erwarten bei einem Forscher erscheinend, Raum läßt derart, daß man dieses nicht
durch disziplinarische Mittel, sondern durch öffentliche und interne Kritik sich kor-
rigieren läßt. Fälle in Breslau,271 in Heidelberg315 und andernorts sind Beispiele aus der
Zeit der Weimarer Republik, an denen man sowohl die Taktlosigkeit von Dozenten wie
die für den Sinn der Universitätsidee unmögliche Ahndung durch Eingriff in die Rechte
des Lehrens demonstrieren kann. Es heißt im Gutachten: »die Freiheit der Lehre und
Forschung hat ihre Grenze an den Menschenrechten und an dieser Freiheit selbst, so
daß ein Mißbrauch der Freiheit gegen die Freiheit und gegen die Menschenrechte ver-
hindert werden muß.«316 Welch dunkel verhängnisvolle Sätze! Wird in ihnen der Un-
terschied von politischer Handlung und theoretischer Lehre vergessen? Wollen sie
verhindern, daß ein Forscher von Rang (darauf kommt es an) etwa marxistische oder
totalitäre Lehren vorträgt? Lehre muß durch Lehre durchhellt und korrigiert werden.
344 Sollen | überhaupt sogenannte »Weltanschauungen«, sei es ausgeschlossen, sei es ge-
fördert werden? Das Gutachten sagt historisch richtig, daß die Freiheit von Forschung
und Lehre geboren sei »aus einem Kampf gegen die Herrschaftsansprüche politischer,
kirchlicher und wirtschaftlicher Mächte«.317 Aber in dem Satze: »es wird immer zur Ten-
denz der politischen und wirtschaftlichen Mächte gehören, die Universität als höch-
ste Bildungsstätte der Nation in der Richtung zu bestimmen, die sie für wünschens-
wert halten«,318 in diesem Satze sind die kirchlichen Mächte weggelassen. Zufällig? Wo
heute wahrscheinlich an deutschen Hochschulen eine kirchliche Personalpolitik auf
Grund politischer Parteimächte mehr als im ganzen abgelaufenen Jahrhundert mög-
lich und drohend ist. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist vielleicht gefährdeter
als wir es je erlebt haben. Die stärksten rechtlich-formalen Schranken sind notwendig,
um Eingriffe zu erschweren. Unsere Ahnen in großer geistiger Zeit wußten das. Im Hei-
delberger Universitätsstatut von etwa 1803319 zum Beispiel wird ausdrücklich die Ent-
ziehung einer einmal erteilten venia legendi davon abhängig gemacht, daß der Betrof-
fene sich gegen Gesetze vergangen habe, die im Kriminalrecht unter Strafe stehen.
Wenn ich an das praktisch Dringendste denke, so scheint es mir die Verwirklichung des
Zugangs der Besten aus der gesamten Bevölkerung zur Hochschule zu sein. Das Gutach-
ten fordert sie mit Recht. Aber gerade hier gibt es keine eingreifenden Vorschläge, son-
dern es beschränkt sich darauf, hinzuweisen auf die höhere Schule als Stätte der Auslese
und auf die Maturität als Bedingung für Zulassung zur Universität. Das ist durchaus rieh-