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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0321
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246

Das Doppelgesicht der Universitätsreform

Das für alles sich öffnende Denken, von ontologischen Fesseln befreit, wird sogar
alte und neue Ontologie nicht vernichten, sondern hören wollen. Alles soll zeigen, ob
es Leben hat und, unvoraussehbar, vergessene Wahrheit wieder aneignet, neue, nicht
vorweg für ausgeschlossen erklärte Wahrheit gewinnt.
Die in Jahrhunderten erwachsene geistige Verfassung, in der Wahrheit sich auf
84 vielfache Weise zeigt, ist heute noch keines|wegs allgemein anerkannt und gewollt.
Man sieht heute noch mehr die Verwirrung im Ganzen. Es gibt nicht einfach die Wahr-
heit und die Wissenschaft, sondern die Wirklichkeit des menschlichen Kämpfens um Wahr-
heit und Wissenschaft. Nirgends ist eine allgemeingültige Instanz für das Ganze, außer
in den Wirkungen des Kampfes selber. So gibt es den faktischen Consensus in den
durch Wissenschaften im Partikularen gewonnenen, methodischen und zwingen-
den Gegenstandserkenntnissen. Dieser Consensus ist eine außerordentliche Tatsache
unseres denkenden Daseins: Er ist nicht die Erscheinung einer Autorität (denn jeder
Verstehende sieht ein, aber gehorcht nicht). Diese Tatsache eines Consensus betrifft
jedoch nicht die Wahrheit im Ganzen, ist nicht das letzte Kriterium aller Wahr-
heit (denn er gilt nur für die spezifischen Richtigkeiten innerhalb moderner Wissen-
schaften).
Unter den Wirkungen des Kampfes sieht man für die zwar in Wissenschaften sich
bewegende, nicht aber selber wissenschaftliche Wahrheit das Hellwerden durch den
Kampf selber, die in geistiger Verwandtschaft sich findenden oder in Abwehr durch
den Kampf sich verbindenden Menschen. Die Universität ist der Ort dieses Kämpfens.
Wer der Idee der Universität in ihrer gegenwärtigen Erscheinung der Wahrheit und
Wissenschaft folgt, wird die Gegensätze zu eigenen Positionen im Ringen um die
Wahrheit nicht nur dulden, sondern begehren.
3. Die gegenwärtigen, unheildrohenden Aspekte
Die bedrohenden gegenwärtigen Aspekte der Realität an den Hochschulen sind viel er-
örtert und richtig gesehen: die Massen der Studenten und die an manchen Universi-
täten zur Katastrophe für Lehrer und Studenten werdende Überfüllung; die Verwand-
lung des studentischen Daseins durch Schwund einer wohlhabenden Mittelschicht
mit der Folge der staatlichen Unterstützung der Studenten und der noch zu findenden
Auslesemethodik; die Spezialisierung der Wissenschaften; der immer weiter fortschrei-
tende Übergang zur Institutsform von Forschung und Lehre; der Zerfall der Einheit der
Wissenschaften und der Universität in Institute; das Versinken der Universität als Gan-
zen zugunsten eines Aggregats von Fachschulen; der Vorherrschaft der Institute; die
wachsenden Ansprüche von Gesellschaft und Staat an Ausbildung an der Universität
für immer mehr Berufe. Wenn auch unermeßliche Schwierigkeiten durch diese Bedro-
hungen entstehen, sie sind doch vielleicht kraft der alten und gleichbleibenden Idee
der Universität zu überwinden.
 
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