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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0323
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Das Doppelgesicht der Universitätsreform

stalt erst vor wenigen Jahrtausenden begann und nur einen vergeblichen Zwischen-
augenblick der unermeßlichen Erdgeschichte bedeutet.341 Die Verwahrlosung der Uni-
versität ist dann nur ein Moment in dem Ganzen dieses totalen Zerstörungsprozesses.
Aber bleibt die Universität nicht der Ort, an dem, ihrer Idee entsprechend, dieses
Schicksal wenigstens erblickt und erkannt werden soll? Wo keine Hoffnung mehr ist,
kann doch gewußt werden.
So sind die, wenn sie für endgültige Erkenntnis gehalten werden, verführenden und
lähmenden Gedanken. Sie müssen kritisch durchdacht werden. Dann wird zwingend
klar, daß es keinen wißbaren notwendigen Totalprozeß der Geschichte gibt. Unent-
rinnbar sind nur viele greifbare partikulare Entwicklungen, so für die Universität etwa
der Fortschritt der Wissenschaften, des rationalen Könnens, der Technik mit ihren am-
bivalenten, nicht übersehbaren Folgen, die wachsenden Ansprüche der Gesellschaft
an Ausbildung von Studentenmassen, sei es zu geistig schöpferisch gestaltenden Men-
schen, sei es zu gelernten Arbeitern in immer mehr und schließlich allen Berufen.
An dieser Stelle ist durch die weltpolitische Lage heute die Aufgabe der Universität
zur gefahrvollen Spannung gelangt. Sie liegt darin: Zur Rettung der politischen Frei-
heit ist notwendig die Produktivität der Industrie und eine Wehrmacht, die der unge-
heuren heute überlegenen Rüstung Rußlands (das heute Ostdeutschland, Ungarn und
die anderen Satelliten durch brutale Militärgewalt knechtet)342 gewachsen ist; ande-
rerseits aber wächst damit die Gefahr, daß industrielle Produktion und Wehrmacht
auf Wege gezwungen werden, die selber totalitäre Formen annehmen. Sie würden mit
der radikalen Verschulung der Universitätsausbildung beginnen. Dann würde am Ende
die Selbstbehauptung der freien Welt nicht mehr etwas verteidigen, was sich lohnt,
nämlich nicht mehr die Freiheit, sondern die Apparatur. Ein Kampf der Selbstbehaup-
tung würde sinnlos. Denn man würde selber zu dem, was man bekämpfen wollte, wäre
im Kampf mit dem Drachen selber zum Drachen geworden.343
Die Substanz dessen, als was wir und wofür wir leben, die Freiheit, ist gebunden an die
Weise, wie produziert, ausgebildet, gelehrt und geforscht wird.

87 | 4. Die Entscheidung der Universität
Allen Aspekten gegenüber, die sich wie ein unentrinnbares Natur- oder Geschichtsge-
schehen aufzeigen wollen, steht in der wirklichen Lage entscheidend der Entschluß der
Menschen.131 Wie politisch der Entschluß möglich ist, uns dem nur vermeintlich not-
wendigen, ohne uns sich vollziehenden Zerstörungsprozeß, soviel an uns liegt, nicht
zu fügen, weder dem Ende im Atomtod noch dem Ende in der totalen Herrschaft,344 so
an der Universität der Entschluß, in den partikularen Zwangsläufigkeiten die gestal-
tende Kraft der Idee zur Wirksamkeit kommen zu lassen.
Diese Entscheidung wird eine gemeinschaftliche von Studenten, Professoren, Staatsmän-
nern sein.
 
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