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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
anspruchen sie und wird ihnen gewährt die Freiheit der Forschung und der Lehre. Das
heißt, sie sollen die Wahrheit suchen und lehren unabhängig von Wünschen und Wei-
sungen, die sie von außen oder von innen her beschränken möchten.
Staat und Gesellschaft sorgen für die Universität. Zunächst darum, weil dort die
Grundlage für die Ausübung der Berufe gewonnen wird, die wissenschaftliches Kön-
nen und geistige Bildung verlangen. Es ist eine nur selten bezweifelte Voraussetzung,
daß die Wahrheitsforschung erwünschte Folgen für die Ausübung dieser Berufe hat,
sowohl durch die Ergebnisse der Wissenschaften wie durch die Bildung der Denkungs-
art derer, die durch die Universität hindurchgegangen sind. Aber sogar wenn dies in
irgendeinem Sinne zweifelhaft wäre, ist doch der Grundwille des Menschen, das gren-
zenlose Wahrheitssuchen um jeden Preis zu wagen. Denn allein dies ermöglicht ihm,
in der Erfahrung des Daseins seinen Sinn zu gewinnen. So ist die Universität eine An-
stalt mit realen Zielen, die jedoch angemessen nur erreicht werden in einem Auf-
schwung des Geistes, der alle Realität überschreitet, um zu ihr umso klarer und unbe-
irrbarer zurückzukehren.
Dies Bild der Universität ist heute in Frage gestellt. Die Realität der gegenwärtigen
Hochschulen, ihre unbesinnliche Ratlosigkeit im maßlos gewordenen Betrieb führt zu
Fragen: Ist nicht jenes Bild heute eine Fiktion? Wenn Ursprung und Ziel der Universi-
tät die Wahrheit sein soll: was ist Wahrheit? Wenn die zeitliche Verwirklichung des
Wahrheitssuchens vom Staate getragen wird, hat dann der Staat mit ihr nicht ganz an-
3 dere | Zwecke? Sind in der Verwirrung die Reformen nicht faktisch nur auf äußerliche
Maßnahmen bedacht, um wenigstens im Vordergrund das Chaos zu ordnen? Ist eine
eigentliche Reform vielleicht nur möglich auf Grund einer geistigen Wiedergeburt,
die niemand organisieren kann? Ist aber diese notwendige Wiedergeburt möglich? Ge-
schieht sie vielleicht schon, wenn auch zerstreut, in Einzelnen?
1. Die Situation heute
a) Die Aspekte
Kurz mag aufgezählt sein, welche viel erörterten Aspekte die Universität heute bietet:
1. Wirtschaft, Gesellschaft und Staat haben einen Bedarf an akademisch geschulten
Kräften, der ständig gewachsen ist und noch weiter steigt. Die Tendenz des modernen
Daseins geht dahin, daß fast alle Tätigkeiten ein Wissen verlangen, das Schule voraus-
setzt, und ein Können, das nicht allein handwerklich und praktisch erworben werden
kann.
Da diese zweckhaften Ansprüche zugleich von den Massen der Studenten erhoben
wurden, verteilt sich das Gewicht der überlieferten Wissenschaftsgebiete. Der Maß-
stab, wichtig sei, was der Allgemeinheit nützt, wird handgreiflich als der unmittelbare
Nutzen und quantitativ gemeint. Neue Wissenschaftsfächer (wie Betriebswissenschaft
u.a.) treten auf allein aus dem praktischen Bedürfnis. Sie werden enorm frequentiert,
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
anspruchen sie und wird ihnen gewährt die Freiheit der Forschung und der Lehre. Das
heißt, sie sollen die Wahrheit suchen und lehren unabhängig von Wünschen und Wei-
sungen, die sie von außen oder von innen her beschränken möchten.
Staat und Gesellschaft sorgen für die Universität. Zunächst darum, weil dort die
Grundlage für die Ausübung der Berufe gewonnen wird, die wissenschaftliches Kön-
nen und geistige Bildung verlangen. Es ist eine nur selten bezweifelte Voraussetzung,
daß die Wahrheitsforschung erwünschte Folgen für die Ausübung dieser Berufe hat,
sowohl durch die Ergebnisse der Wissenschaften wie durch die Bildung der Denkungs-
art derer, die durch die Universität hindurchgegangen sind. Aber sogar wenn dies in
irgendeinem Sinne zweifelhaft wäre, ist doch der Grundwille des Menschen, das gren-
zenlose Wahrheitssuchen um jeden Preis zu wagen. Denn allein dies ermöglicht ihm,
in der Erfahrung des Daseins seinen Sinn zu gewinnen. So ist die Universität eine An-
stalt mit realen Zielen, die jedoch angemessen nur erreicht werden in einem Auf-
schwung des Geistes, der alle Realität überschreitet, um zu ihr umso klarer und unbe-
irrbarer zurückzukehren.
Dies Bild der Universität ist heute in Frage gestellt. Die Realität der gegenwärtigen
Hochschulen, ihre unbesinnliche Ratlosigkeit im maßlos gewordenen Betrieb führt zu
Fragen: Ist nicht jenes Bild heute eine Fiktion? Wenn Ursprung und Ziel der Universi-
tät die Wahrheit sein soll: was ist Wahrheit? Wenn die zeitliche Verwirklichung des
Wahrheitssuchens vom Staate getragen wird, hat dann der Staat mit ihr nicht ganz an-
3 dere | Zwecke? Sind in der Verwirrung die Reformen nicht faktisch nur auf äußerliche
Maßnahmen bedacht, um wenigstens im Vordergrund das Chaos zu ordnen? Ist eine
eigentliche Reform vielleicht nur möglich auf Grund einer geistigen Wiedergeburt,
die niemand organisieren kann? Ist aber diese notwendige Wiedergeburt möglich? Ge-
schieht sie vielleicht schon, wenn auch zerstreut, in Einzelnen?
1. Die Situation heute
a) Die Aspekte
Kurz mag aufgezählt sein, welche viel erörterten Aspekte die Universität heute bietet:
1. Wirtschaft, Gesellschaft und Staat haben einen Bedarf an akademisch geschulten
Kräften, der ständig gewachsen ist und noch weiter steigt. Die Tendenz des modernen
Daseins geht dahin, daß fast alle Tätigkeiten ein Wissen verlangen, das Schule voraus-
setzt, und ein Können, das nicht allein handwerklich und praktisch erworben werden
kann.
Da diese zweckhaften Ansprüche zugleich von den Massen der Studenten erhoben
wurden, verteilt sich das Gewicht der überlieferten Wissenschaftsgebiete. Der Maß-
stab, wichtig sei, was der Allgemeinheit nützt, wird handgreiflich als der unmittelbare
Nutzen und quantitativ gemeint. Neue Wissenschaftsfächer (wie Betriebswissenschaft
u.a.) treten auf allein aus dem praktischen Bedürfnis. Sie werden enorm frequentiert,