Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0345
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
270

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Der Student steht am Anfang seines Lebensweges, will ihn im Ursprünglichen
gründen, und trägt mit seiner Zukunft die Zukunft seines Volkes und Staates, auf die
er sich vorbereitet. Kommt er zur Universität, so wehen ihm in aller Verwirrung und
Betriebsamkeit doch die Funken des Geistes entgegen, wenn er sie wahrnehmen kann
und in seiner Seele zünden läßt. Wer Urteilskraft hat, das heißt ständig unter seiner ei-
genen geistigen Führung arbeitet, die sich als Führung durch die Sachen selbst zeigt,
hat Chancen, auch unter sonst ungünstigen Bedingungen unbeirrbar seinen Weg zu
finden.
Wenn der Student mit der Universität unzufrieden ist, hat er recht. Aber die ein-
zige Möglichkeit die Lage zu bessern, ist für ihn, daß er selbst für sich die Wirklichkeit
einer wahren Universität mit schafft durch die Weise seines Studiums, ebenso durch
hartnäckige Arbeit wie durch sein diese Arbeit durchdringendes geistiges Dasein. Nur
aus solchen Studenten können die aus der Idee der Wahrheit in allen Berufen wirken-
den Männer werden und können unter ihnen einige einst als Professoren die wahre
Universität wieder zur Erscheinung bringen. Sie allein werden sie hervorziehen aus der
Verworrenheit.
11 | So war es immer. Es kommt weder von selbst durch einen automatischen Ge-
schichtsprozeß; dieser mag als Chiffre207 eines undurchschaubaren Etwas gelten, das
eine Grenze des Menschen fühlbar macht, an dem man aber, da man es nicht kennt,
sich auch nicht orientieren kann. Es kommt auch nicht allein durch ein Organisieren
nach Plan. Solcher Plan ist ein wirksames Mittel nur in der Hand solcher, die selbst
schon die Idee der Universität kraftvoll in sich tragen.
Noch einmal: Das Entscheidende ist der Entschluß, der mit der Aufgabe zugleich
das eigene Leben gründet: die Wahrheit zu suchen auf den Wegen der Wissenschaft.
Der Student ist zunächst verantwortlich für sich selbst. Ganz anders der Dozent,
der nicht allein durch Verantwortung für sich selbst schon unmittelbar wirksam für
das Ganze verantwortlich ist. Professoren und Staatsmänner müssen gegenwärtig in
dem völlig ungenügenden und unstabilen Zustand durch Reformen die Bedingungen
für die bestmögliche Erfüllung der Aufgabe finden. Wenn ihnen zweckmäßige Einrich-
tungen und Ordnungen gelingen sollen, müssen sie dabei ständig an den eigentlichen
Sinn denken und ihn wollen: die Universität als den Ort, an dem die Wahrheit in je-
der ihrer Richtungen offenbar und zugleich von den Studenten mitergriffen werden
soll. Dieses aber, was mehr ist als Reform, wofür vielmehr die Reform sein soll, das ist
die ständige Wiedergeburt der Wahrheit in den Gelehrten, Forschern, Denkern. Daß
diese die Mitte der Universität sei, wie die Universität im Ganzen die Mitte der geisti-
gen Bildung eines Volkes sein könne, das ist die leitende Idee oder die gesamten Refor-
men werden ein Betrieb, in dem die Universität selber verloren geht.
Wir treiben auf einem Meere, dessen Stürme noch mächtiger zu werden drohen.
Wir suchen nach dem Steuer im Ganzen (im Entschluß zur Wahrheit). Aber jeden Au-
genblick müssen wir schon bemüht sein um unsere nächste Umwelt, die wir innerhalb
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften