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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0348
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961] 273
a) Die Idee kann historisch nicht genügend begründet werden
Die Idee ist ursprünglich, der Möglichkeit nach ständig gegenwärtig, gründet sich
in sich, wird historisch nicht bewiesen und nicht gerechtfertigt. Aber doch geht die
Geschichte der Universität uns an. In ihren Höhen wird sie uns zur Ermutigung, in
ihrem Verfall eine Warnung. Zwar werden wir nicht durch Orientierung an der Ge-
schichte (durch vollendete Vorbilder, zu denen wir ihre immer vergänglichen und
unzulänglichen Erscheinungen fälschlich steigern würden) zu dem, was wir sind
und tun. Aber das Bewußtsein unserer Herkunft beschwingt uns. Aus der Gewißheit
unserer gegenwärtigen Idee deuten wir das Vergangene, erkennen uns in ihm wie-
der, erfahren wir die von dort kommenden Maßstäbe und Ansprüche. Sie sind für
uns die ewigen Ansprüche in einem je besonderen geschichtlichen Kleid. Wir wa-
ren dort zu Hause, aber sind aus diesem | Hause herausgetreten. In ehrfürchtiger Er-
innerung sind wir auf neuem Wege, mit unseren Ahnen gemeinschaftlich geborgen
im Bleibenden.
Historische Aspekte, mit denen heute gedacht wird, sind unter anderen folgende:
Die mittelalterliche Universität, zumal in ihrer hohen Pariser Gestalt,371 war ein alle
lebendigen Gegensätze und leidenschaftlichen Kämpfe umgreifendes geistig geschlos-
senes Ganzes. In den Ordnungen vom Studenten bis zum selbständigen Lehrer, von
der Artistenfakultät bis zur Theologie war sie Ausdruck der hierarchischen Ordnung
der Dinge. Eine gemeinsame geistige Struktur ging durch alle Glieder. Sie hatte euro-
päische Geltung. Aus allen Nationen kamen Schüler und Lehrer. Christus verteilt die
Aufgaben an die Fakultäten.
Diese Universität wandelte seit vier Jahrhunderten ihre Gestalt: Äußerlich durch
die Aufgabenstellung seitens der später sie tragenden Territorialstaaten; innerlich
durch den neuen Humanismus, die neuen Naturwissenschaften, die neue Philosophie.
Die geistige Umstrukturierung vollzog sich langsam innerhalb der alten Formen. Diese
wurden bewahrt, scheinen am Maße der neuen Realität fiktiv zu sein, bedeuten aber
bis heute eine Wahrheit symbolischen Charakters.
Man nennt die Wandlung die Säkularisierung der Universität: An die Stelle der Ge-
meinschaft des alle einigenden und bindenden kirchlichen Glaubens sei die lockere
Bindung durch den gemeinschaftlichen Dienst für die Wissenschaften getreten. Das
ist nicht durchaus richtig. Säkularisierung kann man den Übergang von Theologie in
einen bestimmten Typus innerhalb der modernen Philosophie nennen (etwa in He-
gel: säkularisiertes theologisches Denken; in Marx: säkularisiertes antitheologisches,
an Theologie als Gegner gebundenes Denken, das selber wieder einen neuen theolo-
gisch-atheistischen Charakter hat). Die Theologie selber bleibt nun als besonderes,
nicht mehr herrschendes Gebiet, von geringem Umfang im Gesamtbereich der mo-
dernen Universität. Aber die Säkularisierung betrifft keineswegs den Wahrheitsgedan-
ken selber, der vielmehr in seiner Unbedingtheit jederzeit transzendent gegründet ist,
ob ohne oder mit Offenbarung, ob ohne oder mit einer Kirche.

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