Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
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Wenn der Tatbestand selber etwas Unbestimmbares und im Ausdruck dieses Unbe-
stimmbaren etwas grundsätzlich Widersprechendes enthält, dann ist das juristische
Denken nicht mehr fähig, der Sache Herr zu werden.
In den juristischen Formen liegt die äußerlich faßliche und soweit zuverlässige Ord-
nung. Die Grenzen dieses Juristischen fühlbar zu machen, ist die Aufgabe des Juristi-
schen selber. Es verfehlt diese Aufgabe, wenn es das juristisch nicht zu Beherrschende
in juristischen Begriffen täuschend einfangen möchte mit Unbegriffen wie »norma-
tive Kraft des Faktischen«380 und dergleichen.
Die Universität hat die in der Sache liegenden Widersprüche: sie ist Institution des
Staats und hat Autonomie; als erstere ist sie abhängig von Akten des Staats, als letztere
ist sie vor Eingriffen und Weisungen geschützt. Die Abgrenzung der Rechtssphären ge-
lingt, soweit Äußerlichkeiten (die von großen Folgen sind) bestimmbar werden. Sie ge-
lingt nicht, wo es auf das autonome Leben des Geistes selber ankommt. Hier rettet nur
die Koinzidenz der Grundsätze des Wahrheitslebens in Universität und Staat. Von ihr
her ordnen sich die Rechtsverhältnisse und | bleiben in ihrem Sinn und ihrer Anwend-
barkeit von jener höheren gemeinsamen Lebensinstanz abhängig.
Die Kooperation von Universität und Staat aus gemeinsamem Grunde fordert, daß
der Staat in den Kultusministern und den Beamten dieses Ministeriums vertreten ist
von Männern, deren eigner lebendiger Geist selber in der Idee der Universität steht.
Nur diese können sich von den Sachkundigen aus der Universität überzeugen lassen,
und nur diese können die Initiative gegen Abirrungen der Universität von der Freiheit
des Wahrheitssuchens ergreifen.
Sollte der Staat sich zur Verwaltung der Universität in Personen repräsentieren, die
für die Aufgabe disqualifiziert sind, so wird die Universität deren Entfernung verlan-
gen. Mit Recht fordert sie, die Staatsverwaltung durch Persönlichkeiten vertreten zu
sehen, die an dem gemeinsamen Ursprung und damit auch an der Idee der Universi-
tät durch Charakter und erwiesene Denkungsart und die eigene Ausbildung teilhaben.
Nur mit ihnen kann die Universität solidarisch und im gegenseitigen Vertrauen han-
deln. Wird etwa eine verantwortungslos gewordene Parteienregierung eine disqualifi-
zierte Person zum Kultusminister machen, so wird die Universität, die die Pflicht ihrer
Autonomie erfüllt, nicht schweigen dürfen, auch wenn keine vorgesehenen Rechts-
wege gegeben sind.381 Ihr steht die geistige Kraft des Überzeugenkönnens und die öf-
fentliche Meinung zur Verfügung (im Blick auf die nächsten Wahlen, weswegen diese
für verwahrloste Politiker der einzige Gegenstand der Furcht sind).
Der Staat kämpft mit der Macht der Gewalt (schlecht denkende Parteien nehmen
auf Grund des Faktums der Wahlergebnisse das Recht zu unkontrollierten Willkürent-
scheidungen im Namen des Volkes in Anspruch); je besser er ist, desto mehr kämpft
auch er selber zuerst durch die Macht der Überzeugung. Die Universität kämpft allein
durch diese Macht und kann als Gewalt nur passiven Widerstand des Streiks anwen-
den. Aber die Macht des Geistes kann in der Publizität das Volk erreichen und dieses
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Wenn der Tatbestand selber etwas Unbestimmbares und im Ausdruck dieses Unbe-
stimmbaren etwas grundsätzlich Widersprechendes enthält, dann ist das juristische
Denken nicht mehr fähig, der Sache Herr zu werden.
In den juristischen Formen liegt die äußerlich faßliche und soweit zuverlässige Ord-
nung. Die Grenzen dieses Juristischen fühlbar zu machen, ist die Aufgabe des Juristi-
schen selber. Es verfehlt diese Aufgabe, wenn es das juristisch nicht zu Beherrschende
in juristischen Begriffen täuschend einfangen möchte mit Unbegriffen wie »norma-
tive Kraft des Faktischen«380 und dergleichen.
Die Universität hat die in der Sache liegenden Widersprüche: sie ist Institution des
Staats und hat Autonomie; als erstere ist sie abhängig von Akten des Staats, als letztere
ist sie vor Eingriffen und Weisungen geschützt. Die Abgrenzung der Rechtssphären ge-
lingt, soweit Äußerlichkeiten (die von großen Folgen sind) bestimmbar werden. Sie ge-
lingt nicht, wo es auf das autonome Leben des Geistes selber ankommt. Hier rettet nur
die Koinzidenz der Grundsätze des Wahrheitslebens in Universität und Staat. Von ihr
her ordnen sich die Rechtsverhältnisse und | bleiben in ihrem Sinn und ihrer Anwend-
barkeit von jener höheren gemeinsamen Lebensinstanz abhängig.
Die Kooperation von Universität und Staat aus gemeinsamem Grunde fordert, daß
der Staat in den Kultusministern und den Beamten dieses Ministeriums vertreten ist
von Männern, deren eigner lebendiger Geist selber in der Idee der Universität steht.
Nur diese können sich von den Sachkundigen aus der Universität überzeugen lassen,
und nur diese können die Initiative gegen Abirrungen der Universität von der Freiheit
des Wahrheitssuchens ergreifen.
Sollte der Staat sich zur Verwaltung der Universität in Personen repräsentieren, die
für die Aufgabe disqualifiziert sind, so wird die Universität deren Entfernung verlan-
gen. Mit Recht fordert sie, die Staatsverwaltung durch Persönlichkeiten vertreten zu
sehen, die an dem gemeinsamen Ursprung und damit auch an der Idee der Universi-
tät durch Charakter und erwiesene Denkungsart und die eigene Ausbildung teilhaben.
Nur mit ihnen kann die Universität solidarisch und im gegenseitigen Vertrauen han-
deln. Wird etwa eine verantwortungslos gewordene Parteienregierung eine disqualifi-
zierte Person zum Kultusminister machen, so wird die Universität, die die Pflicht ihrer
Autonomie erfüllt, nicht schweigen dürfen, auch wenn keine vorgesehenen Rechts-
wege gegeben sind.381 Ihr steht die geistige Kraft des Überzeugenkönnens und die öf-
fentliche Meinung zur Verfügung (im Blick auf die nächsten Wahlen, weswegen diese
für verwahrloste Politiker der einzige Gegenstand der Furcht sind).
Der Staat kämpft mit der Macht der Gewalt (schlecht denkende Parteien nehmen
auf Grund des Faktums der Wahlergebnisse das Recht zu unkontrollierten Willkürent-
scheidungen im Namen des Volkes in Anspruch); je besser er ist, desto mehr kämpft
auch er selber zuerst durch die Macht der Überzeugung. Die Universität kämpft allein
durch diese Macht und kann als Gewalt nur passiven Widerstand des Streiks anwen-
den. Aber die Macht des Geistes kann in der Publizität das Volk erreichen und dieses
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