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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0369
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Wissenschaft im engeren und eigentlichen Sinne entstand zugleich mit einem Tie-
fergreifen des Erkennens. Sie entstand als entdeckende Wissenschaft, als Forschung.
a) Diese Forschung wird auf neue Weise methodisch. Ein vorangehender Entwurf des
Gedankens findet Prüfung, Bewährung oder Widerlegung in der Erfahrung. Die For-
schung ist gleichsam ein Kampf mit dem unmittelbaren Objekt. Dieses wird nicht hin-
genommen, sondern durch jene Entwürfe von Möglichkeiten befragt. Das Objekt wird
aufgelöst, um zu sehen, was hinter ihm steckt. Der Wille zur Gewißheit steigert die Ex-
aktheit des entwerfenden Denkens (tritt daher zuerst als das Streben nach Mathema-
tisierung und Quantifizierung auf) und die Exaktheit der Erfahrung (durch Verfeine-
rung der Beobachtung, insbesondere der Messungen). Die Exaktheit wird bis zum
Maximum des Möglichen getrieben, um die Kriterien, die in der Abweichung oder dem
Zutreffen der Beobachtung liegen, bis zum äußersten an Verläßlichkeit zu bringen.
b) Die neue Wissenschaft hatte zwar ihre erste, auffälligste und reinste Erschei-
nung in der mathematischen Naturwissenschaft. Aber sie begann in den Werkstätten
der Architekten und Maler, im Bergbau und in den Handwerken, ebenso im Umgang
44 der Humanisten mit den alten Texten und ihrer | Erkenntnis historischer Realität, in
den Erkundungen und Bemächtigungen des ganzen Erdballs von Europa aus, in der
Kriegstechnik und der wirtschaftlichen Staatsverwaltung, in der Diplomatie und ih-
rer politischen Auffassung. Überall war sie mit höchst verschiedenen Interessen und
Zwecken verbunden, überall mußte sie sich zu ihrer Reinheit erst herausarbeiten, be-
wegt von dem Motiv der Wirksamkeit des Richtigen. Ein gemeinsamer Geist durch-
drang alle diese voneinander unabhängigen Bestrebungen. Was als Antrieb hinter die-
sen Entdeckungen stand, gründete sich als universale Wissenschaftlichkeit in einer bis
dahin in der Welt noch nicht dagewesenen Gestalt.
Noch die griechische Wissenschaft (mit Ausnahme einiger Wege der Mathematik,
der Physik, der Medizin, der Historie und des platonischen Denkens) lebte im Raum
einer Vollendung, war im ganzen eigentlich immer fertig: Die Universalität der grie-
chischen Wissenschaft lag im Weltbild des geschlossenen Kosmos. Die Universalität
der neuen Wissenschaft war dagegen nicht das systematische Wissen vom Ganzen
(wenn auch die Form griechischer Wissenschaft als Störung eigentlicher Wissenschaft
und als eine die modernen Ergebnisse in ihrem Sinn verkehrende Denkgestalt für das
durchschnittliche Auffassen bis heute herrscht), sondern die Offenheit nach allen Sei-
ten, die Bereitschaft, alles, was ist, dem wissenschaftlichen Forschen zugänglich zu
machen, in den unendlichen Raum des Seienden mit immer neuen, auf den vorher-
gehenden weiterbauenden Versuchen entdeckend einzudringen, Ungeahntes aus der
Verborgenheit hervorzuholen, statt eines Kosmos vielmehr in der ungeschlossenen
Welt die Idee eines »Kosmos« der wissenschaftlichen Methoden und der Wissenschaf-
ten in ihrem systematischen Zusammenhang zu verwirklichen.
Mit der Unbefangenheit des Forschens erwuchs in unseren Jahrhunderten eine
Klarheit über die Mannigfaltigkeit des Wirklichseins, über die Sprünge zwischen den
 
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