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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0373
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

49 | Zu diesem Denken im umgreifenden Sinn der Wahrheitsvergewisserung ist Wis-
senschaft der unumgängliche Weg. Diese echte Wissenschaft aber bedarf weiterer Klä-
rung ihres Wesens.
5. Voraussetzungen und Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft
Die Wissenschaft, welche die Gewißheit in ihrer zwingenden Allgemeingültigkeit wei-
ter getrieben hat, als je geahnt wurde, hat zugleich das klare Wissen über ihre jeweili-
gen eigenen Voraussetzungen gewonnen. Voraussetzungslos ist sie nur darin, daß sie jede
Voraussetzung als einen Versuch auffaßt, und darin, daß sie Voraussetzungen abweist,
die die Wahrheit und Wirklichkeit aus Tendenzen verschleiern oder verschieben. Sie
arbeitet mit Voraussetzungen, die sie als solche weiß und auf ihre entdeckende, frucht-
bare Kraft hin versucht.
Die Wahrheit von Voraussetzungen in der Forschung zeigt sich erst durch ihre Wirkung in
der faktischen Erkenntnis. Warum die einen Voraussetzungen zu Entdeckungen führen, die an-
deren aber versagen, das ist eine weitere Frage, die die Wahrheit im Ergebnis nicht berührt, son-
dern in den Wahrheitsgrund der Forschung selber dringen möchte. Ist es der Zufall, der unter
zahlreichen möglichen vergeblichen Spekulationen einzelne bevorzugt, die übrigen nichtig
bleiben läßt? Ist es eine glückliche Wahl aus unabsichtlicher Nähe zur Wirklichkeit der Dinge,
aus einem unbegründbaren Ahnungsvermögen des Forschers? Es ist wohl möglich, die großen
Erfolge der Forschung, wenn sie da sind, nachher aus den Prinzipien zu verstehen, mit denen
sie begann. Aber im Anfang der Entwicklung sind sie noch keineswegs in dieser ihrer Bedeutung
vollständig klar. Warum begründeten Galilei, Lavoisier205 Forschungsbewegungen, deren Ergie-
bigkeit, mit Sprüngen neuer Ansätze, bis heute andauert? Lavoisier z.B. machte folgende Vor-
aussetzungen, die alle vor ihm gedacht waren, aber die er zuerst unablässig festhielt, indem er
keine Ausnahme zuließ, sondern auf ihnen zunächst wie auf absoluten Wahrheiten baute: Was
nicht weiter auflösbar ist, ist ein Element; - die Materie wird weder vermehrt noch vermindert;
- die Masse jeder Materie wird zuverlässig am Gewicht erkannt, da alles, was ist, der gleichen
Schwerkraft unterliegt. Die Waage wurde auch vor ihm angewendet, aber durch ihn wurde die
Ausnahmslosigkeit, das Unumgängliche der Voraussetzungen, die Kompromißlosigkeit der ge-
50 danklichen Konsequenz | zum Ursprung der Entdeckungen. Die Voraussetzungen waren gegen
den Augenschein, der jederzeit verführt, sie aufzugeben. Was unterscheidet Lavoisier von ei-
nem spekulativen Fanatiker? War es geistige Größe oder war es der glückliche Zufall?
Die Urheber der Forschung und die Menge der Mitarbeiter in der Folge glaubten nicht selten
an die absolute Wahrheit dieser Voraussetzungen und erhoben daher den Anspruch ihrer absolu-
ten Geltung. Aus den Wissenschaften erhob sich jedesmal, wenn ein radikaler Versuch mit neuen
Voraussetzungen gemacht wurde, der Sturm von Seiten der jeweiligen Besitzer der Wahrheit gegen
den neuen Unsinn. Dabei wurde jedoch nur immer klarer: Alle Wissenschaft operiert mit Voraus-
setzungen, die nicht absolut gelten, nicht das Sein selbst treffen, sondern nur einen Zug in seiner
Erscheinung. Die Voraussetzungen sind nur Versuche. Unter zahllosen vergeblichen Versuchen
bloßer Spekulation finden sich spärliche, aber erstaunlich wirksame Treffer. Daher besteht eine Ab-
neigung aller echten Forscher gegen gedankliche Entwürfe als solche, sofern sie nicht ihre Frucht-
barkeit in der Erfahrung gezeigt haben und nicht weitere Chancen für neue Erfahrung geben.
 
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