302
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
durch etwas, das selbst erst mit dem Erwerb von Wissen wacher und heller wird, durch
Vernunft. Wie ist das möglich?
Das ursprüngliche Wissenwollen in uns ist nicht ein beiläufiges Interesse; ein unbe-
dingter Drang in uns treibt uns voran, als ob unser Wesen erst im Wissen zu sich kom-
men könnte. Kein einzelnes Wissen befriedigt mich, unablässig gehe ich weiter. Ich
möchte mich wissend zum All erweitern.
In dieser Bewegung aus dem ursprünglichen Wissenwollen geschieht die Führung
durch das Eine des Seins. Das Wissenwollen geht nicht in Zerstreutheit auf beliebiges
Einzelnes, sondern durch das Einzelne - da nur dieses geradezu und unmittelbar er-
55 griffen werden kann - auf das Eine. Ohne den Bezug | auf das Eine des Seins verliert
Wissenschaft ihren Sinn; durch diesen Bezug aber wird sie, selbst noch in ihren spe-
zialistischen Verzweigungen, beseelt.
Das Eine aber ist nirgends geradezu zu finden. Immer wieder ist Gegenstand mei-
ner Wißbarkeit nur ein Einzelnes, ein Mannigfaltiges, ein endlos Vielfaches. Darum
entspringt die Führung im Wissenwollen ständig aus zwei durch Vernunft ins Gren-
zenlose gesteigerten und gegenseitig aufeinander bezogenen Momenten: ins Unabseh-
bare möchte ich bis ins Einzelne wissen, was überall wirklich ist, - in diesem Wissen
möchte ich das Eine erfahren durch die Bezogenheit alles Wirklichen aufeinander und
durch ein nur in diesem Wissen erreichbares, erfülltes Nichtwissen:
Erstens also bringt mich Wissenschaft klar und entschieden vor den Tatbestand als
solchen. Immer reiner bringt sie mir zur Gegenwart ein »so ist es«. Ich gewinne den
Blick in die Erscheinung, die ich zwar nicht zureichend deuten, aber wie eine Sprache
vernehmen kann. Wissenschaft zwingt, der wirklichen Erscheinung, aller Wirklich-
keit ins Angesicht zu blicken, damit ich diese Sprache nicht vorzeitig vereinfache und
sie nicht aus Wunsch und Neigung eindeutig und falsch höre. Aus dem Entzücken an
der Schönheit und Harmonie in der Welt treibt Wissenschaft mich in das Erschrecken
vor aller Zerrissenheit, Sinnfremdheit und vor der undeutbaren Zerstörung.
Zweitens komme ich dadurch, daß ich alle Wege der Erkennbarkeit gehe, durch Wis-
sen zu jener Erfahrung des eigentlichen Nichtwissens, das mir indirekt das Eine als die
Transzendenz zur Gegenwart bringt. Sie wird der heimliche Führer all meines Wissen-
wollens. Durch sie erst ist es beseelt und sinnvoll.
Dieser Sinn ist selbst nicht mehr rational zu bestimmen. Er kann nicht etwa als ge-
wußter zum Ausgang dienen für eine errechnende Wahl von Aufgabe und Weg der
Wissenschaft. Nur in der Wissenschaft, sich ihr anvertrauend, kann der Mensch den
Grund erfahren, aus dem sie kommt, und worauf sie geht.
Frage ich mich, worauf all das Wissen hinaussoll, so kann ich in Gleichnissen ant-
worten: Es ist, als ob die Welt erkannt werden wolle76 - oder als ob es zur Verherrlichung
Gottes in der Welt gehöre, daß wir sie mit allen uns gegebenen Organen erkennen, daß
56 wir in ihr gleichsam nachdenken die Gedanken | Gottes, wenn wir auch nie diese
selbst, sondern nur die Vordergründe ihrer Erscheinung im Abbild erfassen.
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
durch etwas, das selbst erst mit dem Erwerb von Wissen wacher und heller wird, durch
Vernunft. Wie ist das möglich?
Das ursprüngliche Wissenwollen in uns ist nicht ein beiläufiges Interesse; ein unbe-
dingter Drang in uns treibt uns voran, als ob unser Wesen erst im Wissen zu sich kom-
men könnte. Kein einzelnes Wissen befriedigt mich, unablässig gehe ich weiter. Ich
möchte mich wissend zum All erweitern.
In dieser Bewegung aus dem ursprünglichen Wissenwollen geschieht die Führung
durch das Eine des Seins. Das Wissenwollen geht nicht in Zerstreutheit auf beliebiges
Einzelnes, sondern durch das Einzelne - da nur dieses geradezu und unmittelbar er-
55 griffen werden kann - auf das Eine. Ohne den Bezug | auf das Eine des Seins verliert
Wissenschaft ihren Sinn; durch diesen Bezug aber wird sie, selbst noch in ihren spe-
zialistischen Verzweigungen, beseelt.
Das Eine aber ist nirgends geradezu zu finden. Immer wieder ist Gegenstand mei-
ner Wißbarkeit nur ein Einzelnes, ein Mannigfaltiges, ein endlos Vielfaches. Darum
entspringt die Führung im Wissenwollen ständig aus zwei durch Vernunft ins Gren-
zenlose gesteigerten und gegenseitig aufeinander bezogenen Momenten: ins Unabseh-
bare möchte ich bis ins Einzelne wissen, was überall wirklich ist, - in diesem Wissen
möchte ich das Eine erfahren durch die Bezogenheit alles Wirklichen aufeinander und
durch ein nur in diesem Wissen erreichbares, erfülltes Nichtwissen:
Erstens also bringt mich Wissenschaft klar und entschieden vor den Tatbestand als
solchen. Immer reiner bringt sie mir zur Gegenwart ein »so ist es«. Ich gewinne den
Blick in die Erscheinung, die ich zwar nicht zureichend deuten, aber wie eine Sprache
vernehmen kann. Wissenschaft zwingt, der wirklichen Erscheinung, aller Wirklich-
keit ins Angesicht zu blicken, damit ich diese Sprache nicht vorzeitig vereinfache und
sie nicht aus Wunsch und Neigung eindeutig und falsch höre. Aus dem Entzücken an
der Schönheit und Harmonie in der Welt treibt Wissenschaft mich in das Erschrecken
vor aller Zerrissenheit, Sinnfremdheit und vor der undeutbaren Zerstörung.
Zweitens komme ich dadurch, daß ich alle Wege der Erkennbarkeit gehe, durch Wis-
sen zu jener Erfahrung des eigentlichen Nichtwissens, das mir indirekt das Eine als die
Transzendenz zur Gegenwart bringt. Sie wird der heimliche Führer all meines Wissen-
wollens. Durch sie erst ist es beseelt und sinnvoll.
Dieser Sinn ist selbst nicht mehr rational zu bestimmen. Er kann nicht etwa als ge-
wußter zum Ausgang dienen für eine errechnende Wahl von Aufgabe und Weg der
Wissenschaft. Nur in der Wissenschaft, sich ihr anvertrauend, kann der Mensch den
Grund erfahren, aus dem sie kommt, und worauf sie geht.
Frage ich mich, worauf all das Wissen hinaussoll, so kann ich in Gleichnissen ant-
worten: Es ist, als ob die Welt erkannt werden wolle76 - oder als ob es zur Verherrlichung
Gottes in der Welt gehöre, daß wir sie mit allen uns gegebenen Organen erkennen, daß
56 wir in ihr gleichsam nachdenken die Gedanken | Gottes, wenn wir auch nie diese
selbst, sondern nur die Vordergründe ihrer Erscheinung im Abbild erfassen.