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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0397
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322

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

modernen Zeit verbreitete »Entzauberung« der Welt.231 Dieser Dogmatik wäre eine Dog-
matik der mythischen Welt voller Wunder und Zauber als Bildungsfaktor vorzuziehen.
Das Gesagte gilt vor allem von den exakten Naturwissenschaften. Sie leisten das
Höchste an wissenschaftlicher Präzision und Sauberkeit, lassen die größte Klarheit
über die Voraussetzungen der eigenen Erkenntnisakte entstehen. Sie bestätigen das
Wort Kants, Wissenschaft gebe es nur, soweit Mathematik anwendbar sei.232 Darum
ist aber auch in diesem Falle alles am Begreifen der Erkenntnisschritte, und fast nichts
83 am Hinnehmen der Resultate gelegen. Die Naturwissenschaften umfassen jedoch | ein
weiteres Feld. Schon im Unlebendigen gibt es die unendliche Gestaltenfülle der Mine-
rale. Und das Leben zeigt uns eine Realität, rätselhafter noch und undurchdringlicher
als die bloße Materie. Kant schrieb, was noch heute gültig ist: »Es ist ganz gewiß, daß
wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen
Prinzipien der Natur nicht einmal hinreichend kennenlernen, viel weniger uns erklä-
ren können, und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann, es ist für Menschen unge-
reimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa der-
einst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach
Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde.«233 Heute
haben die Wissenschaften vom Leben einen außerordentlichen Aufschwung genom-
men. Und hier hat der bloße Inhalt als solcher schon eher einen Bildungswert. Die un-
endlichen Gestalten des Lebens eröffnen eine Welt, die den vertrauten Umgang mit
der Natur, wie ihn jeder Mensch für sich hat, sinnvoll erweitert, klärt, vertieft. Der Bil-
dungswert hängt aber davon ab, wieweit das naturwissenschaftliche Wissen sich um-
setzt in lebendiges Beobachten, Anschauen, Zueigenmachen der Umwelt.
b) Erziehung
Die Erziehung wechselt mit den Gestalten, die das geschichtliche Leben der Völker an-
nimmt. Die Erziehungseinheit ist durch eine gesellschaftliche Einheit gegeben, z.B.
die Kirche, den Stand, die Nation. Erziehung ist die Weise, wie die besonderen gesell-
schaftlichen Gestalten durch die Generationen hindurch in der Überlieferung sich
selbst erhalten. Darum wandelt sich mit gesellschaftlichen Umwälzungen auch die Er-
ziehung und wenden sich Erneuerungsversuche zuerst den pädagogischen Fragen zu.
Darum wird auch das Nachdenken über Erziehung bis zu Staat und Gesellschaft ge-
führt, und Entwürfe wie Platos Staat38 lassen staatliche und Erziehungsorganisationen
zu einer großen Einheit zusammenfallen. Die Erziehung prägt den Einzelnen zum
Glied des Ganzen, und das Ganze ist Mittel der Erziehung des Einzelnen.
Die historische Wandelbarkeit ist groß. Die Inhalte des Unterrichts werden gewählt
84 nach den Bedürfnissen der jeweiligen | Gesellschaft: theologisches Wissen beim Prie-
sterunterricht, sprachliche Kenntnisse und Fertigkeiten bei humanistischen Bedürf-
nissen. Heute gelten soziologische, ökonomische, technische, naturwissenschaftliche
und geographische Kenntnisse betont als wichtig. Die Erziehung wechselt dazu mit
 
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