Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0402
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

327
proben dieser Wirkung. Die Kommunikation erst macht die Universität zu einem Le-
ben der Wahrheit. Denn die Universität ist nicht eine dirigierte, nach Plan und Ab-
sicht regelmäßig laufende Schule.
Daher ist die Weise der an der Universität stattfindenden Kommunikation eine Sa-
che aller ihrer Glieder. Das behutsame Sichabschließen, die Verwandlung der Kom-
munikation in unverbindliche Geselligkeit, der Formen wesentlichen Verkehrs in ver-
schleiernde Konventionen ist immer zugleich ein Absinken des geistigen Lebens.
Bewußte Reflexion auf die Weisen der Kommunikation kann den Weg für diese in Er-
innerung bringen.

a) Disputation und Diskussion
In der Sphäre der Wissenschaft besteht die Kommunikation als Diskussion. Was wir
gefunden haben, teilen wir mit. Wir | wollen bestätigt oder in Frage gestellt werden. 90
Die fachmäßigen Einzelerörterungen werden an der Grenze zu einem letzten Infrage-
stellen, das philosophisch ist. Hier unterscheiden wir Disputation und Diskussion:
1. In der logischen Disputation werden feste Prinzipien vorausgesetzt. In formaler
Weise werden Folgen abgeleitet und der Gegner mit dem Satze des Widerspruchs ge-
schlagen. Das Mittelalter hat die Regeln solcher Disputation bis ins Einzelne entwik-
kelt und in disziplinierten Gemeinschaften verwirklicht.
Die Disputation, ein öffentlicher Vorgang in der Wechselrede vor Zuhörern, hat ei-
nen Zug des intellektuellen Machtkampfes. Die Stimmung und Frage aller ist nicht
was, sondern wer behält Recht? Unter Mitwirkung zahlloser Kniffe, die die logische
Eristik62 seit dem Altertum bewußt gemacht hat, geht es mehr um Sieg oder Niederlage
als um Wahrheit. Das Ende ist bei diesem Machtkampf - der übrigens für die formale
Klarheit nützlich sein kann, wenn er auch dem geistigen Ganzwerden wenig dient -,
irgendwo der Abbruch der Kommunikation nach dem Satze: Contra principia negan-
tem non est disputandum.63
2. In der Diskussion als geistiger Kommunikation gibt es keine letzten Prinzipien
und keinen bis zum Sieg festgehaltenen Standpunkt. Was man selbst und was der an-
dere als Prinzip voraussetzt, will erst gesucht werden. Man will klar werden über das,
was man eigentlich meint. Und jedes gefundene Prinzip ist Ausgangspunkt neuer Be-
wegung, wenn nicht das Letzte eine Frage bleibt. Man zeigt sich gegenseitig die Vor-
aussetzungen, die man implizite machte und arbeitet in der Diskussion an einer ge-
meinsamen, klarer werdenden Anschauung. Es gibt kein Ende. Es gibt keinen Sieg.
Jeder, der in die Lage kommt, recht zu behalten, bekommt gerade dadurch Mißtrauen
gegen sich. Jedes Ergebnis ist nur Stufe.
Echte Diskussion, die keine Grenze kennt, gibt es nur zu zweien unter vier Augen.
Schon der Dritte stört, verwandelt leicht die Diskussion in Disputation, weckt die
Machtinstinkte. Aber wir diskutieren trotzdem mit Vorteil auch in größerem Kreise. Hier
wird vorbereitet, was im Gespräch zu zweien vollendet wird, hier werden Stellungen dar-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften