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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0407
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332

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Wissenschaften verabsolutiert haben, hat seinen sinnvollen Grund. Er liegt darin, daß
jede echte Wissenschaft ein Ganzes ist. Der Irrtum liegt darin, daß dabei die anderen
konkreten Ganzheiten des Erkennens in ihrem eigenen Ursprung nicht mehr gesehen
werden, so daß eine Verarmung des Wissensbewußtseins durch die Beschränkung auf
die übersteigerte besondere Wissenschaft eintritt.
4. Die Unterscheidung und Gliederung der wissenschaftlichen Methoden und Ge-
genstände, um im Blick auf die unerreichbare Einheit ihre Zusammengehörigkeit zu
gewinnen, ist der Weg zum Kosmos der Wissenschaften, der für unser Erkennen an die
Stelle des verlorenen Kosmos als eines einzigen gültigen Weltbilds getreten ist. Aus dem
ständigen Zerfall in ein beziehungsloses Aggregat gibt es nur auf diesem Wege eine nie
vollendete Rückkehr.
Das geschieht entscheidend in den Wissenschaften selbst, überall, wo die Forscher
97 auf ihrem Gebiet, aus Motiven, die sich | ihnen aus der Natur der Sache zeigen, die Be-
züge zum Ganzen finden. Was, in einem vermeintlichen Überblick über das Ganze als
Einteilung der Wissenschaften entworfen wird, ist bloßes Schema der Idee.
Daher ist ein gültiger Kosmos der Wissenschaften, der als ein bestehendes, ordnendes,
bergendes Ganzes jedem denkenden Tun seinen Ort und sein Recht gibt, nicht entstan-
den. Dieser Kosmos ist Aufgabe. Eine Einteilung der Wissenschaften kann immer nur ein
vorwegnehmendes Schema sein, das heute in mannigfachen Anordnungen möglich ist.
5. Man versucht Gesamteinteilungen nach polar entgegengesetzten, aber in kon-
kreter Forschung sich treffenden Methoden, etwa:
Theoretische und praktische Wissenschaften. Die theoretischen gehen ohne Zweck
auf die Sache selber, die praktischen auf die Anwendbarkeit für einen zu verwirklichen-
den Zweck in der Welt.
Erfahrungswissenschaften und reine Vernunftwissenschaften. Die Erfahrungswissenschaf-
ten gehen auf reale Gegenstände in Raum und Zeit; die reinen Vernunftwissenschaften
auf ideale Gegenstände, die der Erkennende begreift, indem er sie konstruiert. Die Mathe-
matik hat ihre einzigartige Stellung als Wissenschaft von idealen Gegenständen.
Gesetzeswissenschaften und historische Wissenschaften. Gesetzeswissenschaften su-
chen das Allgemeine, historische das je einmalige Individuum zu erkennen.
6. Die konkreten Wissenschaften sind charakterisiert durch ihren Gegenstand, des-
sen Grund sie mit allen nur irgendwie anwendbaren Methoden näher zu kommen su-
chen. Daher gelingt es nicht, eine Einteilung der Wissenschaften nach diesen Methoden
zu gewinnen, sowenig man die Wellenkreise einer Wasseroberfläche, die aus zahlreichen
Ausgangspunkten übereinander hingehen, als ein Ganzes einteilen kann.
Aber dann ist doch, könnte man meinen, eine Einteilung nach den Gegenständen
- den Ausgangspunkten der Wellenkreise - grundlegend.
Etwa nach der positivistischen Lehre Comte’s396 in der Reihenfolge auf steigender
Abhängigkeit von den je früheren: Mathematik, Physik und Chemie, Biologie, Psycho-
logie, Soziologie.
 
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