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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0416
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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in den letzten anderthalb Jahrhunderten erfolgte der Einschnitt, der tiefer ist als alle
weltgeschichtlichen Ereignisse der Jahrtausende, vielleicht so tief, wie die erste Ent-
deckung der Werkzeuge und des Feuers. Die Technik ist wie ein selbständiger Riese ge-
worden. Er wächst und schreitet fort zur planmäßigen einheitlichen Ausbeutung und
Verwertung des Erdballs. Er zieht die ihrem eigenen Werk gegenüber scheinbar ohn-
mächtig gewordenen Menschen in seinen Bann.
So ist die Frage, ob in allumfassender Objektivität neben Theologie, Jurisprudenz,
Medizin liegt, was erst die moderne Welt in ganzem Umfang mit den Folgen der Ver-
wandlung aller Zustände und des Ganges der Weltgeschichte verwirklicht hat: die
Formung des menschlichen Daseins in der Natur, das Hervorbringen aller Gebrauchsge-
genstände und der Umwelt durch maschinelle Verfahren, durch Erfindung neuer
Stoffe, durch die Methoden der Handhabung und der Funktion, kurz die Gestaltung
der gesamten Menschenwelt vermöge der Entdeckung und Beherrschung der Natur-
kräfte.
Eine Erweiterung der Universität durch eine vierte Fakultät, nach und neben den
drei anderen »oberen Fakultäten«, der Theologie, Jurisprudenz, Medizin, ist eine wirk-
liche Aufgabe. Denn nur hier liegt gegenüber dem Früheren ein neues Lebensgebiet
vor uns, das in zugleich ordnender und chaotischer | Entwicklung steht und in seinem 110
menschlichen Sinn noch durchaus unklar ist. Die Idee der Universität würde nur noch
Fiktion und bloße Vergangenheit sein, wenn sie die technische Welt, eine Welt des Er-
kennens und Könnens, die Welt der Lebenspraxis in diesem neuen Zeitalter nicht zu
durchdringen vermöchte. Und der Gang des technischen Zeitalters würde in der
Selbstzerstörung enden, wenn diese Durchdringung nicht gelingen würde.
Die unmittelbare Umwelt bleibt für alle Menschen in irgendeiner Weise erhalten,
weil sie unumgänglich ist. Der Leib als Natur braucht seine natürlichen Lebensbedin-
gungen. Der Mensch gestaltet sich den Raum, in dem er lebt, als seinen Raum; wenn
dieser Daseinsraum auch durch das, was er im technischen Zeitalter zur Verfügung
stellt und durch das, was er verkümmern läßt oder ausschließt, in seinem Charakter
gegenüber allem Früheren verändert ist. Von der Familienwohnung bis zu Bauten für
öffentliche Zwecke, von den Straßenanlagen bis zu Mitteln des Verkehrs, des Nach-
richtenwesens, von den Einrichtungen der Küche, des Schreibtischs und der Schlafge-
legenheit bis zur Versorgung mit Wasser, Gas, Strom, alle diese Dinge, die unsere mo-
derne Umwelt ausmachen - alles dies ist zusammengehalten nicht bloß durch
Zweckmäßigkeit und durch die Naturwissenschaften als das Mittel, sondern durch
eine Grundidee der Daseinsformung.
Aber weder solche Daseinsformung noch der umfassende Betrieb ihrer Instandhal-
tung und Erweiterung hat sich heute zu einer geordneten und stetigen Gestalt verwirk-
licht. Der ruhelose Gang der Verwandlung mit der technischen Riesenarbeit läßt den
Menschen heute taumeln zwischen Begeisterung und Ratlosigkeit, zwischen märchen-
haftem Können und simpelstem Versagen.
 
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