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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0435
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3öo

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Herkunft zu sich selbst zu bringen ist. Aber er wird an die Tradition herangebracht wer-
den müssen, wenn er sie auch als Erwachsener anders verarbeiten wird, wie als Kind.
Wenn, was aus dem Menschen wird, zum Teil bedingt ist durch die Tradition einer
Kulturfamilie, so ist das Wesentliche nicht etwa der Schulbesuch, den man durch Insti-
tutionen jedermann zugänglich machen kann, auch nicht die materiell glückliche
Lage, daß der Mensch Gelegenheit zu allem möglichen hat und vielerlei nacheinander
versuchen kann. Es ist vielmehr die Substanz einer gehaltvollen Strenge und Zucht.
Nicht daß die Zugehörigkeit zu einer Familie als solche ein Wert sei. Sie wurde vielmehr
von einzelnen solchen Menschen als Verpflichtung empfunden. Soziologische Geho-
benheit garantiert dies durchaus nicht. In den gehobenen Schichten ist im letzten Jahr-
hundert der Verrat an der eigenen Überlieferung viel sichtbarer gewesen. Früher waren
das protestantische Pfarrhaus, der Adel, das Patriziertum, der Herkunftsbereich vieler
hervorragender Menschen. Solche Erziehung läßt sich nicht »machen« und ausdenken.
Eine andere, schwer oder gar nicht endgültig faßbare Tatsache ist die Eigenschaft
des Durchschnitts oder der Masse.53 Die Auslese findet jederzeit aus einer Masse statt,
136 auch eine | soziologisch herrschende Schicht ist in ihrer Gesamtheit eine Masse. Die
Urteile über die Eigenschaften der Masse sind seit Jahrtausenden in erstaunlicher Ein-
mütigkeit sehr ungünstig.
Was die Begabung angeht, so hält die Mehrzahl der Menschen sich selbst für etwas
vorzüglich Beanlagtes, und nur in Schwierigkeiten dient zur Entschuldigung, man sei
dazu nicht beanlagt. Ansprüche einerseits, Entschuldigung andererseits hat man be-
züglich des Geistigen bei der Mehrzahl zu erwarten. Die meisten wollen über ihre
Kräfte hinaus gelten und anerkannt sein. Statt sich selbst mit strenger Zucht wachsen
zu lassen, ihre Sache zu tun, fliehen sie vor sich selbst und der Aufgabe.
Es gibt nicht nur eine Solidarität der Interessen einer Klasse, sondern ein instinkti-
ves gemeinsames Interesse der durchschnittlich Beanlagten. Die Masse ist Feind des
Überragenden;54 wenn sie im Bewußtsein eigener Unfähigkeit einen Führer in den
Himmel hebt, um durch ihn alles zu nivellieren, wird sie ihn ebenso leicht auch wie-
der verraten. Die Gleichheit soll für die Instinkte des Durchschnitts sich nicht nur auf
die Chancen beziehen, sondern auch die Geistigkeit und das Können betreffen.
Allerdings gibt es Menschen, die sich ihrer Mängel bewußt werden und daraus Kon-
sequenzen ziehen. Aber das ist gerade ein Zeichen des höheren Niveaus. Wer die gei-
stige Triebkraft hat, so muß man ihnen sagen, kann zwar durch schlechte Werkzeuge
gehemmt werden, aber er darf, wenn sein Enthusiasmus nur echt ist und er opfern will,
ihr folgen.
c) Die auswählenden Kräfte
Der »freie Wettkampf«, in dem »der Tüchtigste sich durchsetzt«, ist früher als die na-
türlichste und günstigste Form der Auslese angenommen worden. Jedoch ist zu beden-
ken, daß nach der Art des Erfolges, in bezug auf den der Wettkampf stattfindet, jeweils
 
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