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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0442
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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der vielmehr Angst hat vor den Folgen der reinen Wahrheitsforschung für seine Macht,
niemals eine echte Universität zulassen.
Der Staat duldet und schützt die Universität als einen aus seiner Machtwirkung aus-
gesparten Raum, den er gegen andere Machteinwirkungen sichert. Hier soll das hell-
ste Bewußtsein der Zeit wirklich werden. Hier sollen Menschen leben, die keine Ver-
antwortung haben für das gegenwärtige Tun der Tagespolitik, weil sie allein und
uneingeschränkt die Verantwortung für das Werden der Wahrheit haben. Es ist ein
Raum außerhalb der Welt des Handelns, aber durchdrungen von den Realitäten die-
ser Welt, die in ihm zum Gegenstand der Forschung werden. Hier ist Wirklichkeits-
nähe nicht durch Handeln, sondern durch Erkennen. Wertung und Handeln sind sus-
pendiert zugunsten der Reinheit der Wahrheitsidee.
Der Sinn eines Lebens im Raum außerhalb des Handelns ist nur wirklich, wenn die-
ses Leben von der Leidenschaft des Erkennens getragen wird. Dann ist es ein inneres
Handeln, in Höhepunkten von vollendeter Disziplin des selbstbeherrschten Menschen.
Aber die Erlaubnis zu diesem Leben verführt zu Abgleitungen, die jederzeit stattfinden
und die Atmosphäre des geistigen Tuns trüben. Die Suspension der aktuellen Wertun-
gen führt zur Gleichgültigkeit des Neutralen. Statt suspendiertem Handeln herrscht Be-
quemlichkeit. Die Vorsicht des Geistigen wird zur Angst des Ruhebedürftigen.
Dagegen steht die hohe Forderung: Wahrheitsforschung bezieht sich auf alles Ge-
genwärtige. Was ist und was geschieht, soll an der Universität im für und wider erör-
tert werden. Es gibt die unbequemen Tatsachen, Gedanken, Möglichkeiten, unbequem
für Parteien und Interessen, und für jeden Menschen, für den Forscher selber. Sie nicht
zu verschleiern, nicht vergessen zu lassen, ist der Mut des Forschers.

| b) Das geistesaristokratische Prinzip 146
Es sind zwei Probleme: erstens das geistesaristokratische Prinzip, das innerhalb der
Universität gilt, zweitens die Duldung und Förderung einer Minorität von Wahrheits-
forschern, ausgezeichnet durch Begabung, Ethos und Unabhängigkeit, seitens des im
Staatswillen wirksamen Volks. Es handelt sich um eine politische Frage.
Die Majorität hat meistens eine Abneigung gegenüber bevorzugten Einzelnen und
bevorzugten Minoritätsgruppen. Der Haß ist groß gegen Begabungsüberlegenheit,
gegen höhere Bildung, welche einer Tradition verdankt wird, am größten gegen ge-
fühlte Wesensfremdheit, gegen das ursprüngliche Wissenwollen in seiner Unbedingt-
heit, von dem man selbst nicht bewegt ist, und das in der Tat wie ein Adel die anderen
aus der Niederung aufzufordern scheint, hinanzuklimmen. Es scheint Niedere zu ge-
ben, die es nicht können, weil sie nicht wollen. Der Edle aber liebt den Edleren, lebt
aus stiller Verehrung, um die rechten Ansprüche an sich selbst zu stellen und zu ver-
suchen, hinanzuklimmen.
Daher ist die Situation, daß in einem sozialen Körper, in dem Majoritäten entschei-
den, die Gefahr eines Ausscheidungsprozesses stattfindet. Instinktiv wird ursprüngli-
 
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