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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0449
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

essen des gegenwärtigen Augenblicks. Die Lehrfreiheit besteht nur in wissenschaftli-
cher Absicht. Sie besteht in Bindung an Wahrheit. Keine politische Propaganda kann
sich auf Lehrfreiheit berufen.
Nur äußerlich scheint Lehrfreiheit dasselbe zu bedeuten wie das Staatsbürgerrecht
der freien Meinungsäußerung. Es könnte sein, daß die Lehrfreiheit fortbestände bei
Preisgabe jenes Staatsbürgerrechts.
Wer allgemein das Recht der freien Meinungsäußerung für sich in Anspruch
nimmt, tut es als Staatsbürger vor dem Staat. Er kann aber nicht erwarten, darin auch
als Dozent von der Universität unterstützt zu werden. Der Universitätslehrer hat den
Anspruch, in jeder Veröffentlichung seiner aus dem Zusammenhang der Forschung in
Gestalt eines geistigen Werkes hervorgehenden Wahrheitserkenntnis von seiner Kor-
poration geschützt zu werden, nicht aber in zufälligen Redewendungen zu Tagesereig-
nissen, in politischen Augenblicksurteilen, in Artikeln für die Tagespresse.271 Er kann
hier durch seine Lehrfreiheit keinen Vorrang vor jedem anderen Staatsbürger bean-
spruchen. Lehrfreiheit heißt Freiheit für Leben und Werk in der geistigen Gestalt der
Gründlichkeit, Methodik und Systematik, heißt nicht Befreiung von Verantwortung
und politischer Haftung in der Stellungnahme zu Tagesfragen, zu denen er das Recht
als Staatsbürger, nicht ein schützendes Vorrecht als Professor hat. Dem Glied einer Uni-
versität legt gerade seine eigentliche Lehrfreiheit Beschränkungen auf in bezug auf be-
liebige Meinungsäußerungen.272
3. Professoren und Politiker. Es ist wohl eine alte Tradition, daß Professoren politisie-
ren. Sie ist im ganzen nicht rühmlich. Die großartigen Erscheinungen sind hier selten
und nicht typisch. Die Göttinger Sieben ließen sich vertreiben nicht wegen einer po-
litischen Gesinnung, sondern weil ihre Religion ihnen den geforderten Eidbruch ver-
wehrte. Max Weber war eine bisher einzige Erscheinung. Seine politischen Äußerun-
gen waren selber Glieder eines großen geistigen Werks. Sie wurden von demokratischen
Zeitgenossen damals als »zu hoch« kritisiert: Max Weber könne nicht für Zeitungen
schreiben. Sokrates hat in den Jahrzehnten des peloponnesischen Krieges bei den auf-
156 gewühlten Leidenschaften Athens nie zu aktuellen Fragen der | Politik Stellung genom-
men (außer in der Frage nach der Schlacht bei den Arginusen, als sein Amt Stellung-
nahme verlangte273 und er das ethische Prinzip in allem menschlichen Tun vertrat). Er
ging auf seine Mitbürger fragend und prüfend zu, griff an die Wurzeln des Menschen
und wurde dadurch wohl unbequemer als irgendein Demagoge.
4. Politische Gutachten. In gegenwärtigen Aufgaben, in denen Sachkunde wissen-
schaftlicher Herkunft eine Rolle spielt, hat der Forscher mit Recht das Wort. Von Gut-
achten zu medizinischen und technischen Fragen bis zu staatsrechtlichen Interpreta-
tionen kann er sein Wissen zur Anwendung bringen. Er kann seine Forschungserfahrung
methodisch in einen gegenwärtigen konkreten Fall eindringen lassen, der aus irgend-
einem Grunde für Staat und Gesellschaft bedeutungsvoll ist. Jedoch wird die Form sei-
ner Äußerung nicht die der Aktivität, sondern die der Begründung sein. Es ist seine
 
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