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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0459
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Stätte freier wissenschaftlicher Geistentfaltung zu negieren. Denn für totalitäre Staa-
ten ist Wissenschaft grundsätzlich nicht frei, sondern steht als Technologie im Dien-
ste der ebenso auf totale Herrschaft wie auf totale Weltauslegung bedachten Ideolo-
gie. Dabei werden zwar Wissenschaft (im Sinne von Naturwissenschaft und Technik)
und Ideologie (im Sinne von Wissenschaftsaberglauben) faktisch getrennt, weshalb
auch unter jeweiliger Aussparung einzelner Bereiche der Freiheit der Forschung außer-
ordentliche, auf bestimmte Zwecke beschränkte Leistungen entstehen können. Insge-
samt aber bedeutet hier Wissenschaft nur Technologie im weitesten Sinne. Der Impuls
ist: Wer die meisten und besten wissenschaftlichen Techniker besitzt, dem gehört die
Zukunft, und: Die Macht der Technologie garantiert den Sieg der Ideologie.
Ideologie und Technologie aber haben beide ihre Grenze an der Freiheit des Gei-
stes der modernen Wissenschaftlichkeit selber, die in dieser Freiheit ihren Lebensatem
hat. Wenn deshalb auch die Ideologie um ihres totalitären Machtanspruches willen
169 | Wissenschaft allein als Technologie begreift und fördert, so verlangen doch die Er-
fordernisse der Technologie selber eine sich steigernde Zuwendung zur freien For-
schung, auf deren Voraussetzung sie sich gründet, und erzwingen damit zugleich auch
auf die Dauer eine latente Korrektur der Ideologie. Denn der Geist der Freiheit, wo im-
mer er sich äußert: im Bereich des Wissens wie des Handelns, ist der eigentliche und
unüberwindliche Gegner der Ideologie.
Deshalb gilt heute: wie Wissenschaft und Technik betrieben, gelehrt und verstan-
den werden, so werden sie als Instrument des menschlichen Handelns gebraucht oder
mißbraucht. Der Kampf um die künftige Gestalt und Ordnung der menschlichen Welt
wird auf dem Boden der Wissenschaft ausgetragen: im Westen wie im Osten. Es ist ein
im Medium der Wissenschaftlichkeit um die Freiheit selber zu führender Kampf. Der-
art ist das Verständnis des Sinns von Wissenschaft heute mitentscheidend geworden
für die weltpolitische Alternative von Freiheit und Unfreiheit.
Unter dieser Alternative ist es heute eine der Schicksalsfragen der freien Welt, wie
sie dem ideologischen Totalitarismus Widerstand zu leisten vermag, ohne ihren eige-
nen Prinzipien untreu zu werden und damit selber dem Geist der Freiheit Abbruch zu
tun. Die Steigerung und Konzentration ihrer wissenschaftlichen und technischen
Kräfte kann deshalb nicht in Angleichung an die diktatorischen wissenschaftsorgani-
satorischen Methoden der totalitären Welt erfolgen. Wohl sind heute wissenschafts-
organisatorische Anstrengungen zur Ausbildung wissenschaftlich-technischer Fach-
kräfte in größtem Maßstabe nötig geworden. Zumal zu Zwecken der Entwicklungshilfe
bedarf es der Einrichtung neuer Typen wissenschaftlicher Fachschulen und For-
schungsanstalten in großer Zahl.
Weit dringlicher aber ist heute die Reform der geistigen Mitte der Wissenschaftsor-
ganisation, der Universität: als Freistätte des Geistes der Wissenschaftlichkeit selber,
als Vorbildungsstätte der Forscher, Lehrer und Erzieher der wissenschaftlichen und
technischen Fachkräfte und als Ort des Gewissens des Wissens.
 
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