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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0521
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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

maßte, nicht nur solche Urteile über einen Professor zu fällen, sondern auch über den
Beschluß des Senates einfach hinwegzugehen.
Jaspers: Standen dabei auch die geistigen Leistungen Benses zur Frage?
Rossmann: Zunächst nicht. Doch steigerten sich in der Diskussion die Vorwürfe ge-
gen Bense: Atheismus, Beleidigung des Christentums. Grundsätzlich wurde vom
Hochschulreferenten erklärt, die Freiheit der Lehre und Forschung finde da ihre
Grenze, wo Zweifel an der staatsbürgerlichen Loyalität eines Professors aufträten. Der
Hochschulreferent fügte aber zuletzt diesen politisch-weltanschaulichen Vorwürfen
den der »wissenschaftlichen Niveaulosigkeit« als ausschlaggebend für die Ablehnung
der Ernennung Benses hinzu.
Jaspers: Das wundert mich. Wenn ich selber auch der Philosophie Benses sehr fern-
stehe, so sind doch seine Leistungen meines Erachtens unbestreitbar.
Übrigens scheinen mir hier zwei Fälle vorzuliegen. Der Fall des Hochschulreferenten:
Überschreiten seiner Befugnis als Beamter, Indiskretion und Disqualifizierung eines
trotz seiner Umstrittenheit anerkannten Professors. Der Fall Bense: Beleidigung von
Christentum und Staat. In beiden Fällen handelt es sich formal also zunächst um Ver-
stöße gegen gute Manieren in der Mitteilung von Auffassungen und Meinungen.
35 | Rossmann: Dem scheint auch zu entsprechen, daß trotz der erregten Verhandlung
im Landtag keine faktischen Konsequenzen gezogen wurden. Der Hochschulreferent
ist in seinem Amt, Bense im Besitz seiner außerordentlichen Professur geblieben. Nie-
mand hätte daran gedacht, gegen beide ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Alle Par-
teien des Landtages einigten sich zuletzt darauf, einen zweiten Lehrstuhl für Philoso-
phie einzurichten.452
Jaspers: Das scheint mir alles sehr vernünftig. Freie Konkurrenz an der Hochschule
ist der einzige, gute Weg, Wahrheit zu erproben, zu korrigieren. Vorausgesetzt ist aller-
dings, daß man Persönlichkeiten findet, die der Aufgabe gewachsen sind. - Die Sache
selber ist also damit erledigt.
Rossmann: Das ist auch meine Meinung. Aber für unser Thema - das Problem der
Lehrfreiheit - ist etwas anderes von Belang: ich meine die im Gang der öffentlichen
Erregung und der dramatischen Verhandlungen geäußerten, vielfach sich widerspre-
chenden Auffassungen von der Lehrfreiheit.
Jaspers: Ja. Aus den Berichten der Presse und aus den Verhandlungsprotokollen des
Landtags ergab sich mir keineswegs ein klares Bild. Soweit es sich um einen Kampf han-
delte, war es vielleicht gar nicht so sehr ein Kampf zwischen den politischen Parteien,
sondern innerhalb der Parteien selber um die Freiheit. Man will entweder aus der
Liberalität der Gesinnung - etwas ganz anderes als Liberalismus - an den Universitä-
ten uneingeschränkte Lehrfreiheit - oder man will sie nicht. Dieser Gesinnungsgegen-
satz von Liberalität und doktrinärem Fanatismus scheint quer durch die Parteien
hindurchzugehen.
 
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