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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

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A. Das akademische Jahr 2016
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https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0033
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Festvortrag von Johannes Krause

die langen und dunklen Winter zu einer stark verminderten Vitamin-D-Produk-
tion. Ebenso verringert das Leben in permanenten Behausungen und die damit
einhergehende Vorratswirtschaft die Sonnenexposition der Haut noch weiter. Als
eine direkte Folge haben sich wahrscheinlich in den Ackerbauern in nördlichen
Breiten Gene ausgebreitet, welche unter positiver Selektion standen und eine hel-
lere Hautfarbe verursachen, um somit mehr Vitamin D im dunklen Winter zu
produzieren.
Gleichzeitig fanden sich bei den genetischen Analysen der alten Skelette we-
der in den Jägern und Sammlern noch in den frühen Ackerbauern die Varian-
te des Laktase Gens (LCT), welches vielen heutigen Europäern die Möglichkeit
gibt, als Erwachsene größere Mengen von Milchzucker zu verdauen (Mathieson
et al. 2015). Häufig wird die Abwesenheit dieser Genvariante auch als Laktosein-
toleranz bezeichnet, wobei die meisten Menschen auf der Welt sowie auch alle
Säugetiere laktoseintolerant sind. In Europa hat sich aber scheinbar in den letzten
Jahrtausenden eine Mutation dieses Gens ausgebreitet, die rund 70 Prozent aller
Mittel-Europäer eine Laktosetoleranz beschert. Die genetischen Untersuchun-
gen der alten Skelette zeigen, dass in der frühen Bronzezeit die mutierte Variante
des Laktase Gens nur bei wenigen Individuen aus der Steppe vorlag, die frühen
Ackerbauern Europas waren zu dieser Zeit noch alle laktoseintolerant. Die Tat-
sache, dass die mutierte Variante des Gens heute in der Mehrheit aller Zentraleu-
ropäer zu finden ist, ist scheinbar einer starken positiven Selektion zu verdanken,
die wohl frühestens nach der Einwanderung aus der Steppe vor ca. 4.800 Jahren
begann und wahrscheinlich bis in die Neuzeit weiter selektiert wurde. Diese Va-
riante des Laktase Gens weist die stärkste positive Selektion auf, die bisher bei
einem menschlichen Gen detektiert worden ist. Über die Ursachen, warum sich
die Fähigkeit, Milch auch im Erwachsenenalter in größeren Mengen zu verdauen,
in den letzten Jahrtausenden schlagartig durchgesetzt hat, kann bislang nur speku-
liert werden. Eventuell wurde die Milchwirtschaft stark intensiviert und auch die
Milchproduktion pro Kuh durch gezielte Züchtung verstärkt. So können heutige
Kühe zwischen 10- und 20-mal mehr Milch produzieren als die Kühe der ersten
Ackerbauern Europas.
Aber auch Veränderungen in Eigenschaften, wie der Körpergröße, die durch
viele unterschiedliche Gene beeinflusst werden, lassen sich aus alten Skeletten ent-
schlüsseln. So konnte gezeigt werden, dass sich bei den frühen Ackerbauern in der
Mittelmeerregion überproportional viele Gene ausbreiteten, die eine kleinere Kör-
perstatur bewirken, wohingegen sich bei den Steppenbewohnern, die im fünften
Jahrtausend vor heute nach Europa vordrangen, besonders solche Genvarianten
durchsetzten, die zu einer größeren Körperstatur führen. Man kann im Moment
nur spekulieren, warum sich im Norden und im Süden Europas so unterschiedli-
che Phänotypen durchgesetzt haben.

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