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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2016
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Grzeszick, Bernd: Zum Verhältnis von Recht und Philosophie. Einige Beobachtungen anhand ausgewählter Gerichtsentscheidungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0047
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Bernd Grzeszick

der - zumindest teilweisen - Identität von Recht und Gerechtigkeit einerseits so-
wie der strikten Unterscheidung und Trennung von Recht und Gerechtigkeit an-
dererseits vielfältige Zwischenpositionen, die vermittelnde und differenzierende
Überlegungen beinhalten.
Die Frage nach dem Zusammenhang von Recht und Gerechtigkeit kann da-
her in Bezug auf einzelne Aspekte und konkretere Fragestellungen, und damit
partikular, möglicherweise deutlich ertragreicher beantwortet werden. Da die ju-
ristische Diskussion, wie skizziert, unter besonderen institutionellen Umständen
abläuft, wird die Betrachtung auf Gerichtsurteile konzentriert sein, die sich unmit-
telbar mit philosophischen Überlegungen auseinandersetzen, entweder im Sinne
einer Rezeption oder im Sinne einer Ablehnung dieser bzw. Unterscheidung von
diesen Ideen.
Tatsächlich kann immer wieder beobachtet werden, dass vor allem grund-
legende Gerichtsentscheidungen sich mit philosophischen Ansätzen ausdrück-
lich oder in der Sache gut erkennbar auseinandersetzen, ja sogar versuchen, diese
Überlegungen unmittelbar in das Recht zu integrieren.
Das Beispiel der Mauerschützen-Entscheidungen zeigt dabei, dass Ansätze
einer unmittelbaren Überführung philosophischer Überlegungen in das Recht
in liberal-demokratischen Rechtsstaaten problematisch sein können. Es entsteht
rasch die Gefahr, dass zentrale Rechtssätze, die wie das Rechtsstaatsgebot und die
Rückwirkungsverbote ihrerseits materiale Gerechtigkeitsgehalte transportieren,
durch kollidierende philosophische Überlegungen überlagert werden können, was
-je nach Standpunkt - als gebotene Korrektur oder als unzulässige Deformierung
der positiven Rechtssätze gesehen werden kann. Insbesondere bei fundamentalen
Konflikten kann es dann schwierig sein, akzeptable und hinreichend vorhersehba-
re Konfliktregeln zu gewinnen.
Zudem mag es als problematisch erscheinen, die entsprechenden Entschei-
dungen den Gerichten zuzuordnen, und nicht den demokratisch unmittelbar
legitimierten und für die wesentlichen Fragen des Gemeinwesens zuständigen
parlamentarischen Rechtssetzungsorganen.
Auf den ersten Blick weniger problematisch scheint die Übernahme von
oder Anlehnung an prozedurale Gerechtigkeitstheorien zu sein, wie dies in der
Entscheidung des BVerfG zum föderalen Finanzausgleich erfolgt ist. Die zuvor
skizzierten Probleme tauchen aber auch dort auf, sobald materiale Elemente mit
ins Spiel gebracht werden, wie dies bei Rawls der Fall ist. Die von ihm vorge-
nommenen stark gleichheitsbetonten materialen Voraussetzungen, die im Bild
des „Schleiers des Nichtwissens“ zusammenlaufen, stehen in Spannung zu einer
effektiven demokratischen Legitimation, die darauf beruht, dass politische Verant-
wortlichkeiten den Politikern zugeschrieben und letztlich vom Wähler beim Wahl-
akt zugrunde gelegt werden können.

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