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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

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A. Das akademische Jahr 2016
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Erler, Michael: Interpretatio medicans: eine Methode der Textauslegung in der antiken Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0062
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II. Wissenschaftliche Vorträge

jener Streitkultur innerhalb des Platonismus Profil, den neben dem Streben nach
Orthodoxie auch eine Art concordia discors auszeichnet, ein Miteinander von Beto-
nung von Orthodoxie und Legitimation von Innovation durch Rekurs auf auto-
ritative Texte.
Zunächst zeigen Beispiele aus Autoren unterschiedlicher philosophischer
Lager wie des Epikureers Philodem aus dem 1. Jh. v. Chr., des Mittelplatonikers
Plutarch aus dem 1. Jh. n. Chr., des Skeptikers Sextus Empiricus aus dem 2. Jh.
n. Chr., und des Neuplatonikers Proklos aus dem 4. Jh. n. Chr., dass der Aus-
druck aphormen labein in der Tat für eine Methode aktiver Lesehaltung und eine
Interpretationsweise steht, die bestimmte Stellen eines Textes als Ausgangspunkt
für eigene Argumentationen und Auslegungen nutzt, dabei aber weniger auf ei-
ne wirklich kontextbezogene, korrekte Deutung des Textes selbst, sondern vor-
nehmlich auf die Seele der Rezipienten zielt. Dabei wird bei Sextus Empiricus
und anderen ein Disput über den Vorrang philologischer oder philosophischer
Kompetenz für eine angemessene Anwendung dieser Methode deutlich, wobei
aber die intendierte Orientierung am Wohl des Lesers leitend bleibt, wie zahlrei-
che Beispiele der Anwendung dieser Methode bei Autoren der platonischen Tra-
dition erkennen lassen und wie auch plausibel wird, wenn man den Wortgebrauch
von aphormai bis ins 5. Jh. v. Chr. zurückverfolgt. Dann wird deutlich, dass die-
ses Konzept der zeitgenössischen Redepraxis und der sich daraus entwickelnden
Rhetorik, dem Bereich der inventio und der Pathoserzeugung zuzurechnen ist. Das
bestätigt ein Blick in Reden z. B. des Demosthenes und ein Blick in spätere rhe-
torische Handbücher. Die besondere Fokussierung der späteren Interpretations-
methode auf den Rezipienten findet hier ihre Erklärung. Vor dem Hintergrund
dieser hermeneutischen Tradition und ihrer Merkmale „Adressatenorientierung“
und „Lizenz für eigene Überlegungen im Ausgang von und auf der Grundlage
von autoritativen Texten“ lassen sich Besonderheiten besser verstehen, die in der
philosophisch literarischen Tradition insbesondere des Platonismus zu beobach-
ten sind. Dies gilt z. B. für die Schrift des neuplatonischen Platonikers Porphyrios
mit dem Titel Aphormai pros ta noeta, lateinisch Sententiae ad intelligibilia ducentes,
übersetzt „Sentenzen, die zum Intelligiblen führen“. Sowohl der Titel als Funk-
tionsbeschreibung als auch insbesondere inhaltliche Aspekte der Schrift erhal-
ten Profil, wenn man sie mit der Lesehaltung des aphormen labein in Verbindung
bringt. Die Sententiae oder Aphormai des Porphyrios geben sich nämlich als eine
Zusammenstellung von Zitaten und paraphrasierenden Aussagen über Passagen
aus den Schriften des Plotin. Einerseits lehnt sich Porphyrios eng an Plotin an,
mit bisweilen geradezu wörtlicher Übernahme aus seinen Werken. Gleichzeitig
aber wird bei genauem Zusehen deutlich, dass er durchaus eigene Akzente setzt,
ja bisweilen sogar von der Auffassung Plotins deutlich abweicht, so dass man so-
gar von einer neuen Position des Porphyrios gegenüber Plotin gesprochen hat.
Dieses Miteinander von Nähe zu Plotin und Eigenem des Porpyhrios wird z. B.

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