Auswärtige Sitzung in Tübingen (Grußwort)
Der Tübinger Ägyptologe Christian Leitz leitet das Akademie-Projekt „Der
Tempel als Kanon der religiösen Literatur Ägyptens“ und unternimmt es, die um-
fangreichen Hieroglypheninschriften, die seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. an Tem-
peln in Ägypten angebracht wurden, als Quelle für Aussagen über das Kult- und
Festgeschehen, über Mythen und Göttervorstellungen sowie über die religiöse
Topographie des Nillandes auszuwerten.
Erst vor zwei Jahren wurde die von Mischa Meier geleitete Forschungsstelle
zum „Historisch-philologischen Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas“
eingerichtet. Im 6. Jahrhundert n. Chr. verfasste Johannes Malalas eine „Weltchro-
nik“ - eine Darstellung der Geschichte von Adam bis in seine eigene Zeit. Der
Autor arbeitete wohl zunächst in der höheren Provinzialverwaltung in Antiochia
und siedelte dann in den 530er Jahren in die Hauptstadt des Oströmischen Rei-
ches um, nach Konstantinopel. Seine Chronik reicht bis zur Regentschaft Kaiser
Justinians und besitzt besondere Bedeutung, weil sie die spätere mittelalterliche
Geschichtsschreibung maßgeblich beeinflusste.
Die längste Laufzeit eines Projekts der Heidelberger Akademie dürfte wohl
mit der Tübinger Arbeitsstelle des Goethe-Wörterbuchs gegeben sein. Das Pro-
jekt wurde 1951 von Wolfgang Schadewaldt begründet und 1961 als Unterneh-
men der Akademien der Wissenschaften in Heidelberg, Göttingen und Berlin, mit
weiteren Arbeitsstellen in Hamburg und Berlin bzw. Leipzig, weitergeführt. Das
Goethe-Wörterbuch ist auf der Grundlage von rund drei Millionen Archivbelegen
ein individualsprachliches Bedeutungswörterbuch, das den gesamten Wortschatz
Goethes in etwa 90.000 Stichwörtern analysiert. Es ist nicht nur ein Instrument
der Goethe-Philologie, sondern auch eine einzigartige Informationsquelle für
Wissenschafts-, Kultur- und Ideengeschichte.
Aber auch im Hinblick auf die Naturwissenschaften kann die Universität
Tübingen so manches bieten. Im Laufe ihrer fast 540-jährigen Geschichte hat sie
neben Philosophen und Dichtern wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich
Hölderlin oder Ludwig Uhland auch zahlreiche naturwissenschaftlich orientierte
Forscher hervorgebracht. Denken Sie etwa an Leonhard Fuchs, Johannes Kepler,
Wilhelm Schickard, Friedrich Miescher, Alois Alzheimer oder acht spätere No-
belpreisträger. 1863 wurde übrigens in Tübingen die erste naturwissenschaftliche
Fakultät an einer deutschen Universität gegründet. Seitdem haben unsere Natur-
wissenschaften eine beträchtliche Ausdifferenzierung erfahren, und so verwundert
es nicht, dass auch die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse zahlreiche
Akademiemitglieder aus Tübingen hat. Höchst erfreulich ist natürlich auch, dass
heute mit Frau Juniorprofessorin Carla Cederbaum eine junge Tübinger Mathe-
matikerin mit dem Manfred-Fuchs-Preis der Akademie ausgezeichnet wird.
Doch kehren wir kurz zu den Tübinger Akademieprojekten zurück: Mit
der von den Kollegen Nicholas Conard und Volker Mosbrugger geleiteten For-
schungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“ beheimatet
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Der Tübinger Ägyptologe Christian Leitz leitet das Akademie-Projekt „Der
Tempel als Kanon der religiösen Literatur Ägyptens“ und unternimmt es, die um-
fangreichen Hieroglypheninschriften, die seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. an Tem-
peln in Ägypten angebracht wurden, als Quelle für Aussagen über das Kult- und
Festgeschehen, über Mythen und Göttervorstellungen sowie über die religiöse
Topographie des Nillandes auszuwerten.
Erst vor zwei Jahren wurde die von Mischa Meier geleitete Forschungsstelle
zum „Historisch-philologischen Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas“
eingerichtet. Im 6. Jahrhundert n. Chr. verfasste Johannes Malalas eine „Weltchro-
nik“ - eine Darstellung der Geschichte von Adam bis in seine eigene Zeit. Der
Autor arbeitete wohl zunächst in der höheren Provinzialverwaltung in Antiochia
und siedelte dann in den 530er Jahren in die Hauptstadt des Oströmischen Rei-
ches um, nach Konstantinopel. Seine Chronik reicht bis zur Regentschaft Kaiser
Justinians und besitzt besondere Bedeutung, weil sie die spätere mittelalterliche
Geschichtsschreibung maßgeblich beeinflusste.
Die längste Laufzeit eines Projekts der Heidelberger Akademie dürfte wohl
mit der Tübinger Arbeitsstelle des Goethe-Wörterbuchs gegeben sein. Das Pro-
jekt wurde 1951 von Wolfgang Schadewaldt begründet und 1961 als Unterneh-
men der Akademien der Wissenschaften in Heidelberg, Göttingen und Berlin, mit
weiteren Arbeitsstellen in Hamburg und Berlin bzw. Leipzig, weitergeführt. Das
Goethe-Wörterbuch ist auf der Grundlage von rund drei Millionen Archivbelegen
ein individualsprachliches Bedeutungswörterbuch, das den gesamten Wortschatz
Goethes in etwa 90.000 Stichwörtern analysiert. Es ist nicht nur ein Instrument
der Goethe-Philologie, sondern auch eine einzigartige Informationsquelle für
Wissenschafts-, Kultur- und Ideengeschichte.
Aber auch im Hinblick auf die Naturwissenschaften kann die Universität
Tübingen so manches bieten. Im Laufe ihrer fast 540-jährigen Geschichte hat sie
neben Philosophen und Dichtern wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich
Hölderlin oder Ludwig Uhland auch zahlreiche naturwissenschaftlich orientierte
Forscher hervorgebracht. Denken Sie etwa an Leonhard Fuchs, Johannes Kepler,
Wilhelm Schickard, Friedrich Miescher, Alois Alzheimer oder acht spätere No-
belpreisträger. 1863 wurde übrigens in Tübingen die erste naturwissenschaftliche
Fakultät an einer deutschen Universität gegründet. Seitdem haben unsere Natur-
wissenschaften eine beträchtliche Ausdifferenzierung erfahren, und so verwundert
es nicht, dass auch die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse zahlreiche
Akademiemitglieder aus Tübingen hat. Höchst erfreulich ist natürlich auch, dass
heute mit Frau Juniorprofessorin Carla Cederbaum eine junge Tübinger Mathe-
matikerin mit dem Manfred-Fuchs-Preis der Akademie ausgezeichnet wird.
Doch kehren wir kurz zu den Tübinger Akademieprojekten zurück: Mit
der von den Kollegen Nicholas Conard und Volker Mosbrugger geleiteten For-
schungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“ beheimatet
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