Antrittsrede von Gerd Jürgens
Methodik einzuarbeiten. Anders formuliert, ich habe ziemlich lange promoviert
und dabei „das Rad neu erfunden“.
Ich war Autodidakt der Drosophila-Geneük, es gab ja keine Tradition in
Deutschland. Die erste Generation der wenigen Drosophila-Geneükcr war in den
1930er Jahren emigriert. Ich hatte dennoch Glück. Meine Doktormutter Elisabeth
Gateff kehrte im selben Jahr aus den USA zurück, in dem ich nach Freiburg zog.
Sie brachte mir die Biologie von Drosophila bei, um die Genetik kümmerte ich
mich selbst. Sie gab mir viel Freiraum mein Forschungsprojekt zu entwickeln, und
sie ließ mir genug Zeit, meine sehr rudimentären Biologiekenntnisse in verschie-
dene Richtungen zu vertiefen. In Freiburg wurde ich dann so etwas wie der Haus-
und Hof-Genetiker der allmählich wachsenden Drosophilisten-Gemeinde. Ein
Jahr nach meiner Ankunft wurde der Neurobiologe Jose Campos-Ortega berufen.
Er begann am Sehsystem von Drosophila zu forschen; er war froh, dass ich ihn
und seine Gruppe bei ihren Experimenten genetisch beraten konnte („the blind
leading the blind“). Nach meiner Promotion habe ich dann fast drei Jahre als Post-
doc in der Gruppe von Campos-Ortega gearbeitet, bevor ich mit einem EMBO
Long-Term Fellowship in die Gruppe von Christiane (Janni) Nüsslein-Volhard &
Eric Wieschaus ans EMBL in Heidelberg wechselte. Ich kannte die beiden seit
einigen Jahren, und Janni hatte schon vorher versucht, mich nach Heidelberg zu
locken.
Am EMBL haben wir die Mutagenesen durchgeführt, für die Janni und Eric
zu Recht genobelt wurden. Es war - zusammen mit dem anders fokussierten An-
satz von Ed Lewis am Caltech - der Beginn der modernen Entwicklungsgenetik.
Annähernd zur gleichen Zeit wurden in mehreren Labors die (anfänglich noch
recht groben) molekularbiologischen Werkzeuge entwickelt, um die von uns phä-
notypisch identifizierten Gene molekular zu isolieren und zu charakterisieren. Auf
jeden Fall hat uns die Arbeit am EMBL viel Spaß gemacht. Wir waren eine kleine
Gruppe in einem sehr kleinen Labor, das zugleich Denkraum und Sozialraum war.
Es war eng, lebhaft und chaotisch, es klingelten die Ohren. Es wurde geraucht
(trotz Äther zur Betäubung), es wurden Arien geschmettert oder Rockmusik ge-
hört, es wurde viel diskutiert und natürlich auch praktisch gearbeitet. Um die Be-
lastung erträglich zu halten, haben wir geschichtet: Die drei TAs fingen morgens
früh an, wir drei kamen gegen Mittag; dann waren wir alle für etwa sechs Stunden
im gleichen Raum, und ab 18 Uhr bis weit nach Mitternacht hatten wir drei den
Raum für uns allein. Es war ein bisschen verrückt und zugleich sehr befriedi-
gend.
Die Idylle währte nicht lang. Es war klar, dass wir nur am Rande geduldet
waren („there was not a single shred of molecular data in our work“). Eric wollte
zurück in die USA, Janni zurück nach Tübingen und bot mir eine Senior Postdoc-
Stelle in ihrer Nachwuchsgruppe am FML an. Ich durfte mein eigenes Projekt
der Regulation von homöotischen Genen weiter verfolgen (und zum Hauptpro-
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Methodik einzuarbeiten. Anders formuliert, ich habe ziemlich lange promoviert
und dabei „das Rad neu erfunden“.
Ich war Autodidakt der Drosophila-Geneük, es gab ja keine Tradition in
Deutschland. Die erste Generation der wenigen Drosophila-Geneükcr war in den
1930er Jahren emigriert. Ich hatte dennoch Glück. Meine Doktormutter Elisabeth
Gateff kehrte im selben Jahr aus den USA zurück, in dem ich nach Freiburg zog.
Sie brachte mir die Biologie von Drosophila bei, um die Genetik kümmerte ich
mich selbst. Sie gab mir viel Freiraum mein Forschungsprojekt zu entwickeln, und
sie ließ mir genug Zeit, meine sehr rudimentären Biologiekenntnisse in verschie-
dene Richtungen zu vertiefen. In Freiburg wurde ich dann so etwas wie der Haus-
und Hof-Genetiker der allmählich wachsenden Drosophilisten-Gemeinde. Ein
Jahr nach meiner Ankunft wurde der Neurobiologe Jose Campos-Ortega berufen.
Er begann am Sehsystem von Drosophila zu forschen; er war froh, dass ich ihn
und seine Gruppe bei ihren Experimenten genetisch beraten konnte („the blind
leading the blind“). Nach meiner Promotion habe ich dann fast drei Jahre als Post-
doc in der Gruppe von Campos-Ortega gearbeitet, bevor ich mit einem EMBO
Long-Term Fellowship in die Gruppe von Christiane (Janni) Nüsslein-Volhard &
Eric Wieschaus ans EMBL in Heidelberg wechselte. Ich kannte die beiden seit
einigen Jahren, und Janni hatte schon vorher versucht, mich nach Heidelberg zu
locken.
Am EMBL haben wir die Mutagenesen durchgeführt, für die Janni und Eric
zu Recht genobelt wurden. Es war - zusammen mit dem anders fokussierten An-
satz von Ed Lewis am Caltech - der Beginn der modernen Entwicklungsgenetik.
Annähernd zur gleichen Zeit wurden in mehreren Labors die (anfänglich noch
recht groben) molekularbiologischen Werkzeuge entwickelt, um die von uns phä-
notypisch identifizierten Gene molekular zu isolieren und zu charakterisieren. Auf
jeden Fall hat uns die Arbeit am EMBL viel Spaß gemacht. Wir waren eine kleine
Gruppe in einem sehr kleinen Labor, das zugleich Denkraum und Sozialraum war.
Es war eng, lebhaft und chaotisch, es klingelten die Ohren. Es wurde geraucht
(trotz Äther zur Betäubung), es wurden Arien geschmettert oder Rockmusik ge-
hört, es wurde viel diskutiert und natürlich auch praktisch gearbeitet. Um die Be-
lastung erträglich zu halten, haben wir geschichtet: Die drei TAs fingen morgens
früh an, wir drei kamen gegen Mittag; dann waren wir alle für etwa sechs Stunden
im gleichen Raum, und ab 18 Uhr bis weit nach Mitternacht hatten wir drei den
Raum für uns allein. Es war ein bisschen verrückt und zugleich sehr befriedi-
gend.
Die Idylle währte nicht lang. Es war klar, dass wir nur am Rande geduldet
waren („there was not a single shred of molecular data in our work“). Eric wollte
zurück in die USA, Janni zurück nach Tübingen und bot mir eine Senior Postdoc-
Stelle in ihrer Nachwuchsgruppe am FML an. Ich durfte mein eigenes Projekt
der Regulation von homöotischen Genen weiter verfolgen (und zum Hauptpro-
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