D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
Burkhard Hasebrink
Antrittsrede vom 23. Juli 2016
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
bei der Vorbereitung dieser Vorstellungsrcde kam
mir ein besonderer Ort aus der Kindheit in Erin-
nerung. Es handelt sich um die Katholische Volks-
schule in Ilverich, einer kleinen Rheingemeinde am
linken Niederrhein. Der Lehrer dieser einklassigen
Volksschule hatte schon meine Tante und meinen
Onkel unterrichtet und genoss weit über die Ge-
meinde hinaus den Ruf besonderer Weisheit. Hier
lernte ich rechnen und schreiben, und nie werde
ich vergessen, wie unser Lehrer uns anhand einer
Fahrradluftpumpe erklärte, was ein F ist. Damals
wusste ich noch nichts von Phon und Phonem, aber
nie habe ich eindrücklicher begriffen, wie materiell die kleinsten Einheiten der
Sprache sein können. Ich lernte zwar nur mühsam das Lesen, doch dieser Lehrer
öffnete mir das Tor zur Bildung, und wenn wir mit den Rädern durch die Felder
nach Hause radelten, kam uns der Hof, auf dem ich mit meinen vier Geschwistern
groß wurde, auf einmal nicht mehr so selbstverständlich vor.
Der Wechsel zum Gymnasium führte mich in eine neue Welt. Wir stellten die
Räder am Forsthaus unter, stiegen in die Straßenbahn und gingen an den großen
Bankhäusern vorbei zum „Kasten“, wie das Görres-Gymnasium in Düsseldorf ge-
nannt wurde. Neun Jahre später machte ich dort mein Abitur. Es machte meine
Eltern stolz, als mir der Schuldirektor bei der Abiturfeier ein Präsent überreichte.
Das Buch gab es für mein Engagement als Schulgruppenleiter eines Jugendver-
bandes, der mit rund hundert Mitgliedern an unserer Schule vertreten war. Un-
sere Lehrer hatten uns politische Wachheit im humanistischen Sinne gelehrt, aber
dieser Jugendverband war es, der die großen Bildungsziele in praktische Schrit-
te umsetzte. Und sei es, dass man vor dem südafrikanischen Konsulat für einen
Häftling namens Nelson Mandela Unterschriften sammelte. Einige Eltern berie-
fen daraufhin eine Versammlung ein, weil sie eine Entfremdung ihrer Kinder vom
Elternhaus befürchteten.
Am 11. Oktober 1976 begann mein Zivildienst an der Universitätsklinik
Münster. Der Oberpfleger machte erst keine Umstände und führte mich von
Operationstisch zu Operationstisch. Als ich fast umzukippen drohte, ließ er mich
kurz an die frische Luft. Seine Methode half. Nach einigen Minuten ging es wie-
der. Nach sieben Monaten Operationssaal und Intensivstation wechselte ich ins
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Burkhard Hasebrink
Antrittsrede vom 23. Juli 2016
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
bei der Vorbereitung dieser Vorstellungsrcde kam
mir ein besonderer Ort aus der Kindheit in Erin-
nerung. Es handelt sich um die Katholische Volks-
schule in Ilverich, einer kleinen Rheingemeinde am
linken Niederrhein. Der Lehrer dieser einklassigen
Volksschule hatte schon meine Tante und meinen
Onkel unterrichtet und genoss weit über die Ge-
meinde hinaus den Ruf besonderer Weisheit. Hier
lernte ich rechnen und schreiben, und nie werde
ich vergessen, wie unser Lehrer uns anhand einer
Fahrradluftpumpe erklärte, was ein F ist. Damals
wusste ich noch nichts von Phon und Phonem, aber
nie habe ich eindrücklicher begriffen, wie materiell die kleinsten Einheiten der
Sprache sein können. Ich lernte zwar nur mühsam das Lesen, doch dieser Lehrer
öffnete mir das Tor zur Bildung, und wenn wir mit den Rädern durch die Felder
nach Hause radelten, kam uns der Hof, auf dem ich mit meinen vier Geschwistern
groß wurde, auf einmal nicht mehr so selbstverständlich vor.
Der Wechsel zum Gymnasium führte mich in eine neue Welt. Wir stellten die
Räder am Forsthaus unter, stiegen in die Straßenbahn und gingen an den großen
Bankhäusern vorbei zum „Kasten“, wie das Görres-Gymnasium in Düsseldorf ge-
nannt wurde. Neun Jahre später machte ich dort mein Abitur. Es machte meine
Eltern stolz, als mir der Schuldirektor bei der Abiturfeier ein Präsent überreichte.
Das Buch gab es für mein Engagement als Schulgruppenleiter eines Jugendver-
bandes, der mit rund hundert Mitgliedern an unserer Schule vertreten war. Un-
sere Lehrer hatten uns politische Wachheit im humanistischen Sinne gelehrt, aber
dieser Jugendverband war es, der die großen Bildungsziele in praktische Schrit-
te umsetzte. Und sei es, dass man vor dem südafrikanischen Konsulat für einen
Häftling namens Nelson Mandela Unterschriften sammelte. Einige Eltern berie-
fen daraufhin eine Versammlung ein, weil sie eine Entfremdung ihrer Kinder vom
Elternhaus befürchteten.
Am 11. Oktober 1976 begann mein Zivildienst an der Universitätsklinik
Münster. Der Oberpfleger machte erst keine Umstände und führte mich von
Operationstisch zu Operationstisch. Als ich fast umzukippen drohte, ließ er mich
kurz an die frische Luft. Seine Methode half. Nach einigen Minuten ging es wie-
der. Nach sieben Monaten Operationssaal und Intensivstation wechselte ich ins
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