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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

DOI chapter:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI chapter:
I. Antrittsreden
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Hasebrink, Burkhard: Antrittsrede vom 23. Juli 2016
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0296
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Antrittsrede von Burkhard Hasebrink

Bischöfliche Jugendamt in die Diözesanstellejenes katholischen Jugendverbandes,
dem ich bereits in Düsseldorf angehört hatte.
Die Fahrradstadt Münster gefiel mir ausgesprochen gut. Das Leben war li-
beraler, offener und bunter, als man es vielleicht von einer Bischofsstadt erwartet
hätte. Ich studierte Germanistik, Philosophie und Pädagogik, hörte Hans Blu-
menberg und schätzte die neue Freiheit jenseits von Elternhaus und Schule. Mich
interessierte die Generative Transformationsgrammatik, auch wenn ich ihren Nut-
zen nicht verstand. Sprache - von ihrem kleinsten Laut bis zu ihren literarischen
Gebilden - faszinierte mich, ihre Formen und ihre kommunikative Kraft. Ich las
Adorno und Habermas. Mich fesselte das Paradigma von Kommunikation und
Verständigung; es bildete für mich eine Klammer für alle meine Fächer. In der
Mediävistik lernte ich Klaus Grubmüller kennen, der gerade als junger Ordinarius
aus Bayern nach Westfalen gekommen war. Er sollte über Jahre mein wichtigster
akademischer Lehrer bleiben. In seiner Vorlesung über mittelalterliche Mystik zog
mich ein Denker besonders in den Bann. Schon der Philosophielehrer auf dem
Gymnasium hatte uns Meister Eckhart nähergebracht. Aber erst in jener Vorlesung
lernte ich die deutschen Predigten dieses Dominikaners aus dem 14. Jahrhundert
näher kennen. Sie haben mich bis heute nicht losgelassen.
Diese Texte über die Unmittelbarkeit der Gotteserkenntnis des gelassenen
Menschen standen quer zu all jenen Formen der Heilsvermittlung, wie ich sie im
Katholizismus kennengelernt hatte. Sie standen aber auch quer zu jenem Para-
digma der Aufklärung, das unser modernes Denken bis heute bestimmt. Ich legte
1985 eine Magisterarbeit über die deutschen Predigten Meister Eckharts vor. 1988
wurde ich mit einer Arbeit mit dem Titel „Formen inzitativer Rede bei Meister
Eckhart“ promoviert; die Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen
hatte die finanzielle Basis dafür gelegt. Mit textlinguistischem Instrumentarium
hatte ich zu zeigen versucht, dass diese Predigten sprachlich wie literarisch die
Einheit der Seele mit Gott präsent werden lassen, indem sie ihre Rezipienten als
Subjekte der Einheit und damit als eigentliche Träger ihrer innersten Wahrheit
identifizierten.
Ich versuchte mich in der Erwachsenenbildung. Die Volkshochschule Mün-
chen bot mir 1989 die Möglichkeit, einen Kurs mit dem Titel „Lob der Faulheit“
zu halten. Das Thema provozierte. Ich schlug einen gewagten Bogen von der
antiken Muße über die mittelalterliche Gelassenheit bis zum modernen Diskurs
über Faulheit angesichts der Verengung des traditionsreichen Arbeitsbegriffs auf
Effizienz und Leistung. Interviews verschiedener Rundfunkanstalten folgten. Eine
Zeitschrift bot mir tausend Mark für zehn Regeln eines Lebens in Muße. Doch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligte mir ein Postdoktorandenstipendium
zur Erforschung einer der wichtigsten deutschen Predigtsammlungen des Spät-
mittelalters („Paradisus anime intelligentis“). Ergebnisse dieser Forschungen prä-
sentierte ich später auf einer internationalen Tagung in Oxford, die ich gemeinsam
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