D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
mit Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer veranstalten durfte. Damit war die
Zeit der Mußeforschung zumindest vorerst vorbei.
Als ich das Angebot bekam, mit nach Göttingen zu wechseln, zögerte ich
nicht lange. So lernte ich Karl Stackmann kennen, der zu den überragenden Ge-
stalten der Altgermanistik gehörte. In zahlreichen Oberseminaren Grubmüllers
zur Wortgeschichte, historischen Semantik und zur Lexikographie konnte ich ei-
nen weiteren Schwerpunkt aufbauen. Insgesamt wurden kulturwissenschaftliche
Forschungsansätze immer wichtiger für mich, was kulturpoetische wie kulturan-
thropologische Perspektiven einschloss. Meine Habilitationsschrift, die im Jahr
2000 in Göttingen eingereicht wurde, widmete sich dem Thema der politischen
Klugheit in deutschen Erzähltexten des 12. Jahrhunderts. Ich versuchte zu zeigen,
dass lange vor der philosophischen Kategorie der politischen Klugheit das Erzählen
in der Volkssprache ein ganz eigenes Reservoir an Wissen über kluges Handeln
erschloss. Die Arbeit kam darüber hinaus zu der Erkenntnis, dass es eine genuine
Narratologie von Klugheit und List gibt, da Klugheitshandeln Strategien und Vo-
rausplanung von Figuren erwartet, die sonst nur dem Erzähler zukommen. 2001
wurde die Habilitation im Fach Deutsche Philologie abgeschlossen - bald darauf
ging auch meine Göttinger Zeit zu Ende. Ich hatte diese Stadt inzwischen lieb
gewonnen, auch wenn ich lange gebraucht habe, um mich mit dem Arbeitsethos
dieser ehrwürdigen Universität anzufreunden, das mich anfangs schon sehr ein-
geschüchtert hatte.
Im Sommer 2002 bot mir Jan-Dirk Müller an, ihn ein Jahr in München zu
vertreten. Eine große Freude. Das folgende Wintersemester war eine glückliche
Zeit. Ich hatte mit viel Fortune ein Apartment in der Nähe der Universität ge-
funden, diskutierte intensiv mit den Studierenden über Minnesang, Artusroman
und Mystik und fuhr von München aus zu Bewerbungsvorträgen. Eine dieser
Reisen führte mich nach Freiburg - von dieser Reise bin ich irgendwie bis heute
nicht zurückgekehrt. Noch bevor der Ruf kam, wurde mir die Vertretung dieser
C3-Professur angeboten. So kam ich in die Stadt, die als grünes Modellprojekt
bundesweiten Ruf genießt und die gleichzeitig monatelang in der Lokalzeitung
darüber diskutieren kann, ob der Zustand der Innenstadt noch als sauber oder zu-
mindest erträglich zu bezeichnen sei. Konrad Kunze schenkte mir zur Begrüßung
sein Buch über das Freiburger Münster und sagte mir voraus, dass die Zeit nun
dichter würde. 2004 veranstaltete ich gemeinsam mit Gerd Dicke und Manfred Ei-
kelmann eine Tagung, die wir „Im Wortfeld des Textes“ nannten. Wir wollten über
mittelalterliche Literatur nicht nur mit modernen Gattungsbegriffen sprechen,
sondern nach den Selbstbezeichnungen dieser Schriftkultur fragen. Auf dem Ge-
biet der Historischen Semantik war auch das Projekt „Semantik der Gelassenheit“
angesiedelt. Gemeinsam mit Paul Michel aus Zürich und Michael Stolz aus Bern
gründete ich die „Sternfahrten“, zu denen sich einmal jährlich Studierende unserer
drei Universitäten aufmachten. Intensive Textlektüren wurden das Kennzeichen
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mit Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer veranstalten durfte. Damit war die
Zeit der Mußeforschung zumindest vorerst vorbei.
Als ich das Angebot bekam, mit nach Göttingen zu wechseln, zögerte ich
nicht lange. So lernte ich Karl Stackmann kennen, der zu den überragenden Ge-
stalten der Altgermanistik gehörte. In zahlreichen Oberseminaren Grubmüllers
zur Wortgeschichte, historischen Semantik und zur Lexikographie konnte ich ei-
nen weiteren Schwerpunkt aufbauen. Insgesamt wurden kulturwissenschaftliche
Forschungsansätze immer wichtiger für mich, was kulturpoetische wie kulturan-
thropologische Perspektiven einschloss. Meine Habilitationsschrift, die im Jahr
2000 in Göttingen eingereicht wurde, widmete sich dem Thema der politischen
Klugheit in deutschen Erzähltexten des 12. Jahrhunderts. Ich versuchte zu zeigen,
dass lange vor der philosophischen Kategorie der politischen Klugheit das Erzählen
in der Volkssprache ein ganz eigenes Reservoir an Wissen über kluges Handeln
erschloss. Die Arbeit kam darüber hinaus zu der Erkenntnis, dass es eine genuine
Narratologie von Klugheit und List gibt, da Klugheitshandeln Strategien und Vo-
rausplanung von Figuren erwartet, die sonst nur dem Erzähler zukommen. 2001
wurde die Habilitation im Fach Deutsche Philologie abgeschlossen - bald darauf
ging auch meine Göttinger Zeit zu Ende. Ich hatte diese Stadt inzwischen lieb
gewonnen, auch wenn ich lange gebraucht habe, um mich mit dem Arbeitsethos
dieser ehrwürdigen Universität anzufreunden, das mich anfangs schon sehr ein-
geschüchtert hatte.
Im Sommer 2002 bot mir Jan-Dirk Müller an, ihn ein Jahr in München zu
vertreten. Eine große Freude. Das folgende Wintersemester war eine glückliche
Zeit. Ich hatte mit viel Fortune ein Apartment in der Nähe der Universität ge-
funden, diskutierte intensiv mit den Studierenden über Minnesang, Artusroman
und Mystik und fuhr von München aus zu Bewerbungsvorträgen. Eine dieser
Reisen führte mich nach Freiburg - von dieser Reise bin ich irgendwie bis heute
nicht zurückgekehrt. Noch bevor der Ruf kam, wurde mir die Vertretung dieser
C3-Professur angeboten. So kam ich in die Stadt, die als grünes Modellprojekt
bundesweiten Ruf genießt und die gleichzeitig monatelang in der Lokalzeitung
darüber diskutieren kann, ob der Zustand der Innenstadt noch als sauber oder zu-
mindest erträglich zu bezeichnen sei. Konrad Kunze schenkte mir zur Begrüßung
sein Buch über das Freiburger Münster und sagte mir voraus, dass die Zeit nun
dichter würde. 2004 veranstaltete ich gemeinsam mit Gerd Dicke und Manfred Ei-
kelmann eine Tagung, die wir „Im Wortfeld des Textes“ nannten. Wir wollten über
mittelalterliche Literatur nicht nur mit modernen Gattungsbegriffen sprechen,
sondern nach den Selbstbezeichnungen dieser Schriftkultur fragen. Auf dem Ge-
biet der Historischen Semantik war auch das Projekt „Semantik der Gelassenheit“
angesiedelt. Gemeinsam mit Paul Michel aus Zürich und Michael Stolz aus Bern
gründete ich die „Sternfahrten“, zu denen sich einmal jährlich Studierende unserer
drei Universitäten aufmachten. Intensive Textlektüren wurden das Kennzeichen
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