D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
Ich begann mein Studium in Würzburg, der Hauptstadt des berühmten Fran-
ke nweins, Anfang November 1989, zusammen mit vielen tausend anderen, denn
in diesem Jahr explodierten die Studierendenzahlen überraschend. In einem ka-
tholischen Studentenwohnheim erfolgte auf engstem Raum eine für mich neue
Art der Sozialisierung, da es dort Kommilitonen gab, die im Gegensatz zu mir
wohlbehütetem Kind aus der Provinz wussten, wie Wäsche waschen geht oder
welche Wege man nachts mit dem Rad nach einem Weinfest nehmen muss, um
nicht in Polizeikontrollen zu geraten. Den Fall der Mauer und die deutsche Wie-
dervereinigung im Herbst 1989 bekamen wir als Erstsemester zwar irgendwie mit,
allerdings war uns erst später klar geworden, Zeitzeugen welch historischer Vor-
gänge wir eigentlich geworden waren - denn wir waren vornehmlich damit be-
schäftigt, uns in überfüllten Seminaren Sitzplätze zu organisieren, in meterlange
Sprechstundenlisten einzutragen und stundenlang in engen Gängen auf gestresste
Dozenten zu warten. In einem Auslandssemester in London am University Col-
lege konnte ich das genaue Gegenteil erleben, dort wurde zur Begrüßung in ent-
spannten Seminaren und Sprechstunden bei den Professoren Sherry gereicht. Im
Rückblick war mein Studium großartig: Ich erinnere mich etwa an ein spätabend-
lich stattfindendes Seminar bei Ludwig Braun über hellenistische Epigramme, in
dem wir — ganz untypisch — nur zu zweit saßen und in dem meine Kommilitonin
immer nach wenigen Minuten eingeschlafen war. Ich schwitzte Blut und galop-
pierte mit dem gestrengen Professor durch die Anthologia Palatina. Dabei habe ich
viel gelernt und vor allem die griechische Epigrammatik für mich entdeckt, die
dann in meiner späteren Habilitationsschrift eine wichtige Rolle spielen sollte. In
der Germanistik gefielen mir zunächst die damals der klassischen Philologie nahen
mcdiaevistischen Veranstaltungen, etwa bei Horst Brunner oder Dorothea Klein,
am besten, bis mir durch eine Vorlesung über Ästhetik und Anthropologie im
18. Jahrhundert bei Hellmut Pfotenhauer in der Neueren deutschen Literaturwis-
senschaft ganz neue literarische und theoretische Horizonte eröffnet wurden. In
meinem eigentlichen Hauptfach, der griechischen Philologie, gab es im Herbst
1991 ein regelrechtes Erweckungserlebnis, denn da begann Michael Erler, ein in-
ternational ausgewiesener Kenner Platons wie auch Epikurs, in Würzburg auf dem
Lehrstuhl für Griechische Philologie zu lehren. Seine ebenso dynamischen wie in
philologischer und philosophischer Hinsicht hochkompetenten Vorlesungen -
über Homer, den späten Platon, homerische Hymnen oder die griechische Litera-
tur der Kaiserzeit - begannen morgens um 8:30 Uhr, aus studentischer Sicht
damals eine echte Herausforderung. Aber so übermüdet man auch hinging, so an-
geregt verließ man diese Veranstaltungen, stets im Bewusstsein, dass es noch un-
glaublich viel und Interessantes zu tun gibt in der griechischen Philologie: Dafür
und für viele andere Ansichten und Einsichten bin ich ihm noch heute dankbar.
Nach dem Ablegen des ersten Staatsexamens in meinen drei Fächern promovierte
ich, wie bereits im Studium unterstützt durch die Studienstiftung des Deutschen
302
Ich begann mein Studium in Würzburg, der Hauptstadt des berühmten Fran-
ke nweins, Anfang November 1989, zusammen mit vielen tausend anderen, denn
in diesem Jahr explodierten die Studierendenzahlen überraschend. In einem ka-
tholischen Studentenwohnheim erfolgte auf engstem Raum eine für mich neue
Art der Sozialisierung, da es dort Kommilitonen gab, die im Gegensatz zu mir
wohlbehütetem Kind aus der Provinz wussten, wie Wäsche waschen geht oder
welche Wege man nachts mit dem Rad nach einem Weinfest nehmen muss, um
nicht in Polizeikontrollen zu geraten. Den Fall der Mauer und die deutsche Wie-
dervereinigung im Herbst 1989 bekamen wir als Erstsemester zwar irgendwie mit,
allerdings war uns erst später klar geworden, Zeitzeugen welch historischer Vor-
gänge wir eigentlich geworden waren - denn wir waren vornehmlich damit be-
schäftigt, uns in überfüllten Seminaren Sitzplätze zu organisieren, in meterlange
Sprechstundenlisten einzutragen und stundenlang in engen Gängen auf gestresste
Dozenten zu warten. In einem Auslandssemester in London am University Col-
lege konnte ich das genaue Gegenteil erleben, dort wurde zur Begrüßung in ent-
spannten Seminaren und Sprechstunden bei den Professoren Sherry gereicht. Im
Rückblick war mein Studium großartig: Ich erinnere mich etwa an ein spätabend-
lich stattfindendes Seminar bei Ludwig Braun über hellenistische Epigramme, in
dem wir — ganz untypisch — nur zu zweit saßen und in dem meine Kommilitonin
immer nach wenigen Minuten eingeschlafen war. Ich schwitzte Blut und galop-
pierte mit dem gestrengen Professor durch die Anthologia Palatina. Dabei habe ich
viel gelernt und vor allem die griechische Epigrammatik für mich entdeckt, die
dann in meiner späteren Habilitationsschrift eine wichtige Rolle spielen sollte. In
der Germanistik gefielen mir zunächst die damals der klassischen Philologie nahen
mcdiaevistischen Veranstaltungen, etwa bei Horst Brunner oder Dorothea Klein,
am besten, bis mir durch eine Vorlesung über Ästhetik und Anthropologie im
18. Jahrhundert bei Hellmut Pfotenhauer in der Neueren deutschen Literaturwis-
senschaft ganz neue literarische und theoretische Horizonte eröffnet wurden. In
meinem eigentlichen Hauptfach, der griechischen Philologie, gab es im Herbst
1991 ein regelrechtes Erweckungserlebnis, denn da begann Michael Erler, ein in-
ternational ausgewiesener Kenner Platons wie auch Epikurs, in Würzburg auf dem
Lehrstuhl für Griechische Philologie zu lehren. Seine ebenso dynamischen wie in
philologischer und philosophischer Hinsicht hochkompetenten Vorlesungen -
über Homer, den späten Platon, homerische Hymnen oder die griechische Litera-
tur der Kaiserzeit - begannen morgens um 8:30 Uhr, aus studentischer Sicht
damals eine echte Herausforderung. Aber so übermüdet man auch hinging, so an-
geregt verließ man diese Veranstaltungen, stets im Bewusstsein, dass es noch un-
glaublich viel und Interessantes zu tun gibt in der griechischen Philologie: Dafür
und für viele andere Ansichten und Einsichten bin ich ihm noch heute dankbar.
Nach dem Ablegen des ersten Staatsexamens in meinen drei Fächern promovierte
ich, wie bereits im Studium unterstützt durch die Studienstiftung des Deutschen
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